Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
gekommen war.
Sie musste die Bücher nicht aus dem Regal nehmen, um zu wissen, dass es ihre Ausgaben waren. Eike hatte also bei seiner Mutter Bücher »mitgehen lassen«, wie er es vermutlich nennen würde, und sich hier eine eigene Sammlung der Lieblingsautoren seiner Mutter aufgebaut. War das ein Versuch von ihm, inneren Kontakt zu ihr zu halten? Teilzunehmen an der Welt seiner Mutter, jenseits von Verbrechern, Serienkillern und all dem kranken Mist?
Roch er an den Büchern, so wie sie manchmal an altem Spielzeug von ihm roch, das er im Distelkamp gelassen hatte?
Sie wischte sich die Tränen unauffällig weg, war sich aber bewusst, dass Weller ihre Rührung mitbekommen hatte. Das fand sie nicht schlimm, nur vor Susanne Möninghoff wollte sie nicht heulend am Buchregal ihres Sohnes stehen.
»Ich sehe ihn nie lesen«, sagte Susanne Möninghoff. »Das macht er wohl heimlich nachts mit der Taschenlampe unter der Bettdecke, weil er sich schämt mit solchem Kinderkram …«
»Das ist kein Kinderkram«, verteidigte Ann Kathrin ihre Lieblingsbücher.
Oben wurde die Tür des Therapiezimmers geöffnet, und Hero begleitete seine Patientin die Treppe hinunter. Ann Kathrin konnte sie durch die halbgeöffnete Tür sehen, wie sie die Wohnung verließ. Sie war genauso, wie Ann Kathrin sie sich vorgestellt hatte. Anfang dreißig, mit schmalen Hüften und langen Haaren.
Sie trug einen dicken, selbstgestrickten Pullover mit viel zu langen Ärmeln und einen erdfarbenen knielangen Rock, dazu Schuhe mit dicken Sohlen ohne Absatz.
Eike stand mit dem Rücken zur Küchenzeile. Er hatte das Gefühl, in einen Horrorfilm geraten zu sein. Er sah den selbstgebauten Fakirstuhl, aus ein paar Brettern zusammengezimmert, gespickt mit hochragenden Nagelspitzen. Es waren alte, teilweise rostige, krummgeschlagene, verbogene Nägel, dann aber auch ganz neue, schwarzsilbern glänzend. Der Sitz war voll damit und auch die Rückenlehne.
»Darauf werde ich dich schnallen, wenn dein Kuchen nicht schmeckt.«
Eike bekam seine Finger nicht unter Kontrolle. Sie zitterten so sehr, dass er nicht mal in der Lage war, die Weißmehltüte aufzureißen. Er stellte sie auf der Herdplatte ab.
Der Mann filmte ihn dabei und schimpfte: »Reiß dich zusammen! Stell dir einfach vor, es ist eine Kochsendung, und du, der ja so viel Ahnung davon hat, erklärst jetzt allen genau, was du tust. Also – was machst du jetzt? Warte, fang noch mal von vorne an. Schau in die Kamera und sag jetzt, was du machst.«
Eike schaffte es nicht. Die Packung Mehl fiel um. Er jammerte: »Ich kann das nicht! Ich weiß überhaupt nicht, wie man Kuchen backt. Ich …« Der Mann senkte die Kamera und brüllte: »Hat deine Mutter dir denn gar nichts beigebracht? Nicht einmal Kuchenbacken?«
»Ich … Doch, natürlich. Als ich ganz klein war, da hat meine Mutter manchmal mit mir gebacken, aber das war nicht so toll. Meistens hat es überhaupt nicht geklappt, und ich hatte auch keine Lust dazu, und ich hab mir das nicht gemerkt, und … Bitte tun Sie mir nichts. Bitte lassen Sie mich laufen! Ich werde Sie auch nicht verraten!«
»Ach, ich denke, du bist so besonders gut darin, und du hast so viel Ahnung! Ich dachte, du könntest dich sogar fürs
Perfekte Dinner
bewerben, so gut, wie du bist! Da brauchen sie doch immer Leute, die alles selbst machen können.«
»Nein, natürlich nicht! Warum soll man denn Kuchen selber backen, man kann überall welchen kaufen.«
»Tolle Kochsendung! Ihr müsst nichts selber machen, ihr könnt euch das alles kaufen. So wird das nichts. Möchtest du dich gleich auf den Stuhl setzen?«
»Oh bitte …«
Endlich gelang es Eike, die Mehltüte aufzureißen. Er ließ Mehl aus der Tüte in einen Messbecher rieseln.
»Wieviel Mehl muss ich denn verwenden? Ich weiß das doch gar nicht.«
»Stell dir einfach vor, wir machten das hier für Ines Küppers, damit sie in Zukunft nicht wieder mit so einem Klitschkuchen angelaufen kommt und du nie wieder ihren Mist essen musst. Du sagst ihr jetzt, wie du das machst, und dann wird alles gut. Ich kann dir leider keinen elektrischen Rührstab spendieren. Aber so ein Schwingbesen lässt sich doch viel besser mit der Hand schlagen, findest du nicht auch?«
Er schob den Fakirstuhl näher zu Eike. »Wie willst du mit deinen zittrigen Fingern denn die Eier trennen? Möchtest du dich erst ein bisschen setzen und ausruhen?«
»Ich kann den Kuchen nicht ohne Rezept backen.«
Der Mann verschränkte die Arme vor der
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