Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
Nase wieder zuzuknallen. Das hatte sie gleich zu Anfang ihrer Polizeilaufbahn gelernt. Wenn sie sich als Polizistin zu erkennen gab, krachte so manche Tür wieder zu.
In diesem Fall war es nicht nötig. Sie ärgerte sich über ihr Verhalten, denn Susanne Möninghoff bemerkte es natürlich, sah nach unten auf Ann Kathrins quergestellten Fuß, blickte dann wieder hoch und öffnete süffisant lächelnd die Tür ein Stückchen weiter und trat zur Seite.
»Aber bitte sehr.«
Die Wohnung machte einen unordentlichen Eindruck, und auch das gefiel Ann Kathrin, zumal sie selbst nicht die Ordentlichste war.
»Ich muss um Entschuldigung bitten. Ich weiß, wie es hier aussieht. Wir hatten heute Morgen … eine Auseinandersetzung … Na ja, es ist nicht alles so gelaufen, wie wir es uns vorgestellt haben. Ich bin nicht auf Besuch eingestellt … Und jetzt hat mein Mann …«
»Ja?« Ann Kathrin registrierte sehr genau, dass sie »mein Mann« sagte.
»Eine Patientin … ein Notfall. Eigentlich hatte er heute gar nicht vor zu behandeln, aber … Es entsteht natürlich schnell eine intensive Bindung zwischen Klienten und Therapeuten und in einer Krisensituation …«
»Ja, ich kenne das«, sagte Ann Kathrin. Und sie fügte nicht hinzu:
Sie wird vermutlich zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig sein. Schlank, großer Busen, lange Haare, Rehaugen.
Es tat ihr gut, solch hämische Gedanken zu haben, bestätigte es ihr doch nur, wie gut es war, sich von Hero getrennt zu haben. Wenn sie bei ihm geblieben wäre, so wurde ihr wieder einmal bewusst, wäre alles geblieben, wie es war. Er änderte sich nicht, und wenn sich etwas in seinem Leben änderte, dann höchstens die Haarfarbe seiner Freundinnen.
»Eike reagiert nicht, wenn ich ihn anrufe. Hat er sein Handy vielleicht hier vergessen? Wo ist er?«
»Wir hatten heute Morgen …«, sie schluckte, »einen ziemlich hässlichen Streit. Danach hat Eike die Wohnung wutentbrannt verlassen. Ich weiß nicht, wo er hin ist. Wahrscheinlich hat er sein Handy ausgeschaltet oder meldet sich nicht, um …«
Sie ließ ihre rechte Hand durch die Luft flattern, als müsse sie das passende Wort fangen. »Na ja, es wird eine Trotzreaktion sein. Er hat eben oft noch ein pubertäres Verhalten drauf.«
»Vielleicht ist er zu seiner Freundin?«, fragte Ann Kathrin.
»Ihr wisst also schon davon?«, fragte Susanne Möninghoff zurück. Es fiel Ann Kathrin auf, dass sie immer von »ihr« sprach und weder sie noch Weller als Einzelperson anredete.
»Darf ich mal sein Zimmer sehen?«, fragte Ann Kathrin. Es fiel ihr durchaus schwer, den Satz herauszubekommen, aber so machte sie es immer, wenn sie sich ein Bild von Zeugen, Verdächtigen oder Opfern machen wollte. Es versetzte ihr einen Stich, dass sie jetzt das Zimmer ihres Sohnes so auf ihre professionelle Weise betrachten wollte.
Susanne Möninghoff führte Ann Kathrin und Weller in Eikes Zimmer.
»Wir haben Glück«, sagte sie. »Normalerweise schließt er ab.«
Sie öffnete die Tür, und Ann Kathrins Mutterseele hüpfte vor Freude, denn bei Eike sah es wesentlich aufgeräumter aus als im Rest der Wohnung.
Wahrscheinlich, dachte Ann Kathrin im Stillen, ist auch das nur ein Trotzverhalten. Er will sich halt von seiner Stiefmutter abgrenzen. Der Gedanke, Susanne Möninghoff könne für ihren Sohn eine zweite Mutter, eine Stiefmutter, sein, gefiel ihr nicht. Irgendwie hatte sie den Anspruch, für ihn die einzige Mutter zu sein, auch wenn sie praktisch nie da war.
Dann staunte sie. Eike hatte in seinem Zimmer Buchregale. Er, der notorische Nichtleser, hatte den Bücherschrank aus Büchern gebaut. Jeweils drei oder vier Hardcover quergelegt bildeten eine Säule, von der das nächste Brett gehalten wurde. Eine instabile, aber, wie Ann Kathrin fand, sehr formschöne Art, Bücher aufzubewahren.
Wie immer, wenn sie sich ein Bild über eine Person machen wollte, sah sie sich auch jetzt zunächst an, was für Bücher der Mensch las. Es war wie ein Blick in seine Seelen- und Gedankenwelt.
Sie hatte augenblicklich Tränen in den Augen, denn sie fand hier die Kinder- und Jugendbücher, die in ihrer Sammlung fehlten. Einige ihrer Lieblingsbücher waren verschwunden: Achim Brögers
Mein 24 . Dezember,
Katja Reiders
Tom in der Tinte
, Sigrid Zeevaerts
Max, mein Bruder
und Kirsten Boies
Der kleine Ritter Trenk und der Große Gefährliche.
Da war auch
Level 4
von Andreas Schlüter. Ein Zeitungsausschnitt markierte die Stelle, bis zu der Eike
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