Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
das Wort »Flachbildschirm« noch nicht erfunden worden war.
Die Wohnung machte den Eindruck, als würde hier eine Frau wohnen, der es schon mal besser gegangen war. Das edle Porzellan und die angelaufenen silbernen Löffel erinnerten daran. Das IKEA -Zeitalter war an diesen Räumen spurlos vorübergegangen.
Es war eine Raucherwohnung. Der Zigarettengeruch hing nicht nur in den Gardinen. Gern hätte Ann Kathrin ein Fenster geöffnet, denn die Tannenduftbäumchen an der Lampe verbesserten die Luft nicht gerade. Ann Kathrin befürchtete jetzt schon, ihre Kleidung würde später riechen. Zu Hause käme dann gleich alles in die Waschmaschine. Sie fürchtete sich nur vor der Rückfahrt. Wenn ihre Kleidung nach Tabak roch, kam sie sich selbst fremd vor.
Sie hatte Mühe, diesen Gedanken zu verdrängen und sich auf Frau Küppers zu konzentrieren.
Die Frau hatte nikotingelbe Finger, und um ihren Hals hing an einem Kettchen ein Ring, wie Witwen ihn manchmal von ihrem verstorbenen Mann tragen.
Es war der Ring ihrer Tochter Ines. Ein letztes Andenken. Sie hatte lange gezögert, ob sie Ines mit dem Ring beerdigen sollte, doch dann, im letzten Moment, hatte sie sich anders entschieden.
In einer Ecke des Zimmers war eine Art Altar aufgebaut. Darauf mehrere Fotos, die Ines Küppers als Baby zeigten, auf einem Wickelkissen, dann bei der Einschulung und schließlich ein Porträt der Pubertierenden mit Zahnspange, scheu in die Kamera lächelnd.
Neben den Bildern ihre Lieblingsteetasse und daneben ein kleines, symbolisiertes, sehr modernes Holzkreuz. Man musste schon viel Phantasie aufbringen, um dahinter noch das zu sehen, was es einmal gewesen war: ein Instrument, um Menschen zu Tode zu foltern.
Ein großes, in Leder gebundenes Buch überragte alles.
»Ist das ein Kondolenzbuch?«, fragte Ann Kathrin.
Frau Küppers bestätigte es mit einem stummen Blick.
»Darf ich es an mich nehmen?«
Fast resigniert zuckte die Mutter mit den Schultern.
Kurz ließ Ann Kathrin die Seiten durch ihre Finger gleiten. Es waren auch viele Fotos von der Trauerfeier dabei.
Bereitwillig erzählte Frau Küppers Ann Kathrin von Willbrandt. Es tat ihr gut zu reden, wie sie betonte. Dabei jagte sie durch eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Sie wurde sentimental, wütend, anklagend, jammerig, ihre Lunge rasselte, und wenn sie gekünstelt auflachte, klang es wie ein lungenkrankes Husten. Ann Kathrin wurde an junge Seehunde in der Seehundstation Norddeich erinnert.
Zwischendurch musste Frau Küppers auf den Balkon, eine rauchen gehen. Sie ließ dabei die Tür offen. Der Qualm zog voll in die Wohnung, und sie stand frierend draußen.
»Er ist ein Windhund. Er hat mich reingeritten in die Scheiße. Er hat mein Geld durchgebracht, und durch ihn habe ich alles verloren. Erst mein Haus, dann meine Ehre, meine Selbstachtung und Würde und schließlich auch meine Tochter.«
»Ihre Tochter? Wie darf ich das verstehen?«
»Ich bin, nachdem er ausgezogen war, in ein tiefes Loch gefallen. Alkohol. Depressionen … Ich habe mich oft tagelang, ach, was sage ich, wochenlang nicht rausgetraut. Ich habe mich nicht um meine Tochter gekümmert, sondern bin in Selbstmitleid versunken. Sie ist dadurch vermutlich auch sehr selbständig geworden.« Sie lachte gequält. »Aber sie hat innerlich eine Barriere gegen mich aufgebaut, mich nicht mehr an sich herangelassen. Auch später nicht, als ich wieder auf dem Damm war. Nach drei, vier Klinikaufenthalten und … Langweile ich Sie?«
»Nein, ich höre Ihnen zu. Ist Ihre Tochter in der Zeit, als Sie – sagen wir mal – seelische Probleme hatten, zu ihrem Vater gegangen?«
Jetzt klang ihr Lachen wie das eines bellenden Kojoten. »Mütter gibt es viele, Frau Kommissarin, aber Väter sind eine seltene Spezies. Sozusagen vom Aussterben bedroht.« Sie sah Ann Kathrin vom Balkon aus an. »Haben Sie Kinder?«
Ann Kathrin nickte. »Einen Sohn.«
»Und? Leben Sie noch mit dem Vater zusammen?«, fragte Ulrike Küppers mit einem so gelangweilten Gesichtsausdruck, als wisse sie die Antwort längst.
»Nein.«
»Na bitte. Und? Kümmert der Erzeuger sich um sein Kind?«
Auch jetzt klang es wieder, als wisse Frau Küppers die Antwort bereits.
Ann Kathrin atmete schwer aus. Sie überlegte, ob sie es sagen sollte oder ob sie sich damit zu sehr verstrickte und als Mensch mit eigenen Problemen deutlich wurde. Aber dann entschied sie sich, es doch zu tun, um so etwas wie ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
»Ich muss Sie
Weitere Kostenlose Bücher