Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
befand sie sich im Fahrstuhl, der gerade abbremste. Die Türen öffneten sich.
Sie hoffte auf Hilfe. Sie lag auf dem Boden, und das grelle Licht und das viele Glas ließen sie an den Kreißsaal denken, in dem sie ihre Tochter Emma bekommen hatte. Die Erinnerung an die Geburt und an ihr Kind gab ihr neue Kraft und neuen Mut.
Sie trat nach ihm. Sie reckte sich zu den Steuerungsknöpfen des Fahrstuhls. Sie schlug einfach dagegen, in der Hoffnung, wieder unten zu landen. Hauptsache nicht dort, wo er sie haben wollte.
Er versuchte, sie herauszuzerren. Sie erwischte sein Gesicht mit ihrem rechten Fuß, als er sich zu ihr runterbeugte. Die nasse Pumasohle hinterließ auf seiner Wange den typischen Abdruck.
Sie kroch in den Fahrstuhl zurück und presste sich gegen die Glaswand. Er lag draußen im Flur. Die Tür des Aufzugs schloss sich wie in Zeitlupe.
Verdammt, warum dauerte das so lange?
Er schaffte es, seinen Arm durch den Spalt zu schieben, und die Sicherungsanlage, die das Einklemmen von Menschen und Tieren verhindern sollte, funktionierte leider nur zu gut. Schon öffneten sich die Türen wieder, und er sprang zu ihr in die Kabine, konnte aber nicht verhindern, dass es abwärts ging.
Sie hielt den größtmöglichen Abstand zu ihm, was in diesem engen Raum nicht viel bedeutete.
Er drückte mehrfach einen Knopf, aber der Lift arbeitete seine Befehle Punkt für Punkt nacheinander ab. Das hieß jetzt, zuerst ab in den Fahrradkeller.
Sie hielt sich an der Querstange fest und stand auf. Sie fragte sich, woher mit einem Mal der Hass im Gesicht dieses Mannes kam, der sie so perfide in die Falle gelockt hatte.
Seltsamerweise ging sie nicht davon aus, dass er vorhatte, sie zu vergewaltigen. Es ging um Mord. Das war ihr sehr klar. Sie sollte das hier nicht überleben.
Er war nicht maskiert und gab sich keine Mühe, seine Identität zu verbergen.
Bevor er sie umbrachte, hatte er aber noch etwas mit ihr vor. Warum sonst erwürgte er sie nicht einfach hier, sondern machte sich die Mühe, sie in eine Wohnung zu verschleppen?
Schon fuhr der Fahrstuhl wieder hoch. Sie konnte die Lichter draußen sehen. Hier war alles so gebaut, dass die Feriengäste eine freie Sicht hatten. Undenkbar, dass ausgerechnet ihr hier so etwas geschah. Nur ein paar hundert Meter Luftlinie von Mann und Kind entfernt. Vermutlich las Joachim immer noch ihrem Engelchen vor.
Vielleicht war es die Kölschtaste, jedenfalls entschied Ann Kathrin Klaasen sich spontan, die Kölner Adresse zuerst zu besuchen. Etwas verband Willbrandt mehr mit dieser Stadt als mit anderen Orten. Und was bindet uns mehr an Städte als Menschen?, fragte sie sich.
Sie erreichte Frau Küppers telefonisch noch am Abend und verabredete sich für den nächsten Tag. Die gute Frau war sofort bereit, über sich und Willbrandt zu erzählen. Von dem Film, auf dem Frau Küppers die weibliche Hauptrolle im Negligé spielte, sagte Ann Kathrin am Telefon noch nichts. Sie ging davon aus, dass Frau Küppers keine Ahnung davon hatte.
Sie wohnte rechtsrheinisch, im Stadtbezirk 8 , in Kalk, in einem Haus aus den sechziger Jahren, in sauberen, aber ärmlichen Verhältnissen über einem An- und Verkaufsladen, der gerade Pleite gemacht hatte und jetzt zu einem Handyshop umgebaut wurde. Die ganze Zeit war da ein nervtötendes Bohrgeräusch. Eine Wand wurde aufgebrochen, und Kabel wurden verlegt. Ann Kathrin bekam Zahnschmerzen davon. Am liebsten hätte sie Frau Küppers in ein Café eingeladen, aber sie wollte sich ein Bild von ihr und ihren Lebensverhältnissen machen. Dazu musste sie auch ihre Wohnung sehen.
Ulrike Küppers hatte trockene, schuppige Haut und sich deshalb, kurz bevor Ann Kathrin klingelte, das Gesicht und die Hände mit einer fetthaltigen Creme eingerieben. Sie reichte Ann Kathrin zur Begrüßung die Hand, und die spürte das geruchlose Fett.
Ulrike Küppers hatte sich offensichtlich auf den Besuch vorbereitet. Sie war frisch frisiert und ausgehfertig angezogen. Sie hatte Kaffee aufgebrüht und Gebäck auf den Tisch gestellt. Dazu zwei Gläser und zwei Flaschen Mineralwasser, eine mit und eine ohne Kohlensäure.
Sie wollte in ihrem bescheidenen Rahmen eine gute Gastgeberin sein.
Eine schäbige Stelle im Sofa hatte sie unter einer Decke versteckt. An den Wänden hingen bunte Bilder, die meditativ wirkten, wie große Mandalas. Ann Kathrin tippte darauf, dass Frau Küppers sie selbst gemalt hatte.
Der Fernseher war ein altes Modell. Groß und schwer, aus einer Zeit, in der
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