Ann Pearlman
zu bringen, und lasse die Kuscheltiere mit verstellten Stimmen reden. Die Kids machen mit, und schon bald rufen die Spielsachen: Bye-bye, wir sehen uns in Ann Arbor wieder ! Levy singt: Ich bin ein kleiner Ring und suche einen größeren. Hier ist er ja. Hier ist er ja . Dann lässt er den ganzen aufgestapelten Ringturm in den Karton plumpsen. Ich beschrifte die Kisten, Levy kritzelt Bilder auf die Pappe.
»Ist Daddy dann wieder bei uns? In Ann Arbor?« Rachel sitzt zwischen den noch nicht eingepackten Spielsachen und sieht mich fragend an.
»Nein, Daddy kommt nicht mehr zurück«, erwidere ich, so sanft ich kann. »Er ist nur noch in deiner Erinnerung.«
»Aber ich will meinen Daddy.« Rachels Unterlippe zittert. »Ich vermisse ihn auch«, sage ich. Da kommt Rachel zu mir und streicht mir über die Schulter. Wir umarmen uns gegenseitig, und auch Levy gesellt sich zu uns.
Unten packt Mom die Küchensachen ein. Ganz langsam wickelt Sky die Teller in Papier. Ungelogen – sie braucht mindestens zehn Minuten pro Teller. Zwischendurch starrt sie regungslos ins Leere. In Gedanken versunken, abgelenkt von irgendwelchen Visionen.
Ich mache mir einen Kaffee.
»Ich krieg das einfach nicht auf die Reihe«, sagt Sky plötzlich, und mir ist klar, dass sie nicht die Teller meint. Solche Äußerungen gibt sie schon seit Tagen in unregelmäßigen Abständen von sich.
Sie schaut auf ihre Hände, wendet sie hin und her. »Ich hab das Zeug eingeschleppt, als ich Mia im Krankenhaus besucht habe.« Sie nickt bekräftigend. »Aber das wollte ich gar nicht.« Ihre Stimme bricht, und sie fängt wieder an zu weinen.
»Nein.« Mom legt ihr die Hand auf die Schulter. »Es war dieses Medikament, das hat sein Immunsystem geschwächt. Eine ganz seltene, absolut unwahrscheinliche Reaktion. Das hat die Ärztin gesagt.«
»Warum suchst du nach einem Grund, einem Schuldigen? Es war einfach Pech. Schreckliches, trauriges, tragisches Pech.« Ich packe den Teller fertig ein, mit dem Sky angefangen hat.
Tränen laufen ihr über die Wangen. »Es kann nicht bloß Pech gewesen sein, verdammt.« Sie erstickt beinahe an dem Wort.
»Das ist so unfair«, fährt sie dann fort. »Es muss einen Grund geben. Ich hasse alle Männer, die noch leben.«
Mom verstaut den Tellerstapel in einer Kiste. »Vielleicht hättest du doch eine Autopsie machen lassen sollen. Womöglich wüssten wir dann ein bisschen mehr.«
»Da hab ich wohl noch einen Fehler gemacht«, erwidert Sky bitter.
Ich bestreiche ein Vollkornbrot mit Erdnussbutter und der mit Mandelextrakt gewürzten Himbeermarmelade, die Mom letzten Sommer gemacht hat. Die Erdnussbutter hat sie auch selbst hergestellt, aus in Honig gerösteten Erdnüssen, und so gut schmeckt sonst kein Erdnussbutter-Marmeladenbrot auf der ganzen Welt. Ich bringe den Kindern einen Teller mit in Hälften geschnittenen Sandwiches und stelle einen Teller für uns auf die Anrichte, damit wir uns beim Arbeiten stärken können. Aber keiner außer mir rührt die Brote an. Sky hat vergessen, dass man hin und wieder essen muss.
»Werde ich bestraft?«
»Wofür?«, fragt Mom.
Ich weiß, Sünden sind geheim, manchmal nur Gedanken oder Wünsche. »Wäre es nicht toll, wenn alle Übeltäter bestraft werden würden, und wir anderen, die wir uns bemühen, gut und fair zu sein, werden belohnt?« Ich stelle die verpackten Teller aufeinander.
» Du kriegst doch nur Gutes. Erfolg. Geld. Einen Mann, der noch am Leben ist«, entgegnet Sky. So energisch habe ich sie seit Troys Tod nicht mehr gesehen. » Du kriegst doch alles, ganz egal wie viel Angst und Chaos du schon verbreitet hast.«
Ich beiße in mein Sandwich, packe den nächsten Teller ein und ignoriere die Wut meiner Schwester. Ich will mich nicht mit ihr streiten. Nicht jetzt. Sie tut mir so leid.
Aber sie hört nicht auf. »Du warst so eine Zicke.«
»Das ist lange her. Ich war ein Teenager.«
Sie schlägt mit der Faust auf die Anrichte und kneift die Augen zusammen. »Du kommst immer ungeschoren davon. Ungestraft.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe und überlege, was ich sagen soll. Zu jedem anderen Zeitpunkt würden wir uns jetzt in die Haare kriegen. Ich würde sagen: »Bist du neidisch auf mich? Na ja, dann ist das mal eine Abwechslung, denn ich habe dich meine ganze Kindheit über beneidet, bin dir nachgelaufen und weggeschickt worden, wie das hässliche Entlein, die lästige, doofe kleine Schwester. Und du warst gemein und giftig.« Das würde ich unter normalen
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