Ann Pearlman
ist bei der Konferenz, hat sich aber sehr ungern von mir getrennt.
»Allie, Rachel und ich fahren zusammen.« Mehr sage ich nicht. Dann macht Mom ein lautes Kussgeräusch.
Allie und Rachel denken sich eine Geschichte aus. Mit halbem Ohr höre ich zu, wie sie abwechselnd erzählen. Rachels Hauptpersonen verschwinden alle. Eine nach Chicago. Eine ins Krankenhaus. Allie erfindet neue.
Als mein iPhone wieder klingelt, zucke ich erschrocken zusammen.
»Hey, siehst du die Schilder für den Vergnügungspark?« Tara klingt ganz aufgeregt, als wären wir auf einem Sonntagsausflug. »Direkt vor uns. Wir dachten, wir könnten anhalten und uns ein bisschen die Beine vertreten. Vielleicht gibt es ein Karussell für Levy und Rachel. Wir brauchen was zu essen. Etwas anderes als Studentenfutter und Äpfel. Was meinst du?«
»Ich hab keinen Hunger.« Sie ist so kindisch. Ein Vergnügungspark in so einer Situation.
»Oh.« Sofort wird Taras Stimme unsicher. »Gib mir doch bitte mal Allie.«
Allie nickt und sagt dann: »Okay. Ich kann auch eine Pause gebrauchen.«
»Ich muss Pipi«, verkündet Rachel. »Und Maddie auch.«
»Na, dann halten wir eben an.«
Wir kommen an eine Steinmauer. Da wir direkt nach Osten fahren, knallt die Sonne auf die Windschutzscheibe. Wir holpern ein schmales Sträßchen entlang. Der Vergnügungspark ist verlassen.
Dann betreten wir eine andere Welt, einen perfekt gepflegten Wald. Die Bäume spenden Schatten, ihre Äste kommen in regelmäßigen Abständen parallel aus dem Stamm. Unter ihnen wächst nichts. Die Bäume sind steif, die Brise ist tot, als wäre es kein Wald, sondern eine Kulisse in Disneyland. Das Surren der Autoreifen auf dem Asphalt ist das einzige Geräusch.
Allie fährt auf einen Parkplatz, wo das Unkraut aus den Ritzen im Asphalt sprießt. Der Möbelwagen hält neben uns.
Ich schaue mich um. »Hier ist kein Mensch.«
Rachel zupft an meiner Hand. »Vielleicht sind sie da drüben.« Sie deutet mit dem Finger, dann läuft sie mit Levy die Straße hinunter.
Aaron, Red Dog und Smoke begleiten sie. Ich sehe ihnen nach, dann verdecken die erwachsenen Gestalten meine Tochter, und nur, wenn ich den Hals recke, sehe ich sie, wie sie beim Rennen mit den Armen schlenkert und ihre Haare im Wind flattern.
Tara mustert mich. »Alles klar?«
»Ja.« Ich gehe die Straße hinunter, beobachte, wie sich meine Zehen in den Flipflops bewegen, und lausche dem Flippen und Floppen. Mein teilweise abgeblätterter roter Nagellack kommt mir so grell vor. So ungepflegt. Vielleicht achte ich nicht genug auf mein Äußeres.
Wir gelangen auf eine Lichtung, zu einer Gruppe niedriger, moderner Gebäude an einem See, in dem sich der Himmel spiegelt. Das Ufer ist mit roten Backsteinen eingefasst, sanft geschwungene Buchten und kleine Zuflüsse. Auf der anderen Seite erkenne ich ein Riesenrad, ein Tilt-a-Whirl und ein Karussell, alle ebenso unbeweglich wie die Bäume. Ein Imbissstand wartet vergeblich darauf, Hamburger und Pizza und Eis verkaufen zu dürfen.
Die Fahrgeschäfte verharren reglos, als warteten sie darauf, dass ein Schalter umgelegt wird oder ein kräftiger Wind aufkommt, um das Rot, Blau, Gelb in Schwung bringen.
Aber wir sind die einzigen Menschen hier.
Die Gebäude werden überragt von der Metallstatue eines Mannes. Ein Fuß steht auf einer mindestens eineinhalb Meter hohen Pyramide, sein bärtiges Kinn reckt sich über der geballten Faust, die andere Hand ist mit gespreizten Fingern in die Hüfte gestemmt. Er ist aus Metallrechtecken geformt – kleine für Finger und Kinn, große für den Brustkorb. Sein Gesicht ist selbstbewusst, beinahe aggressiv, herrschsüchtig.
Vermutlich soll er den König der Engel darstellen, denn er ist umgeben von einer Gruppe himmlischer Wesen, die jeweils einen kleinen Garten abschirmen. Diese Figuren sind etwas kleiner als ich, mit starren Flügeln und Brüsten aus Metallkegeln. Krieger? Racheengel? Amazonen? Ich beneide sie um ihre rigide Autonomie. Alles Weiche und Flexible hat sich verhärtet.
Rachel und Levy rennen zwischen den Engeln herum, blicken zu den ernsten Gesichtern empor, stupsen den einen und hüpfen zum nächsten. Rachel kommt zu mir und fragt: »Wer sind die denn?«
Ich schüttle nur stumm den Kopf und zucke die Achseln.
Der See glitzert silbern unter dem Himmel. Ich studiere den großen Metallmann. Bestimmt ist er ein Denkmal. Vielleicht für den Künstler, der ihn geschaffen hat.
Die Männer wandern zum Riesenrad hinüber. Vielleicht
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