Ann Pearlman
Ferne hört man die Sirene eines Krankenwagens. Dann verhallt sie wieder.
Natürlich habe ich mir schon oft genug vorgestellt, wie es wäre, wenn Aaron sterben würde. Wie auch nicht nach Troys Tod? Selbstverständlich versetze ich mich in meine Schwester hinein, ich kann gar nicht anders. Mit so einem Vater wie meinem. Aaron könnte mich auch wegen einer anderen Frau verlassen. Oder weil er sich langweilt. Er könnte sterben. Daran habe ich von Anfang an gedacht. Was würde dann mit Levy geschehen? Und genau hier, bei diesen »Was wäre, wenn?«-Gedanken, diesen schrecklichen Möglichkeiten, gewinnt Kings Angebot an Wert und wird verlockend. Er ist mein Ass im Ärmel. Nicht King als Liebhaber, nicht King als Mann. Aber King als Brücke zum Status eines Solostars, als Sicherheit für den Fall, dass Aaron eines Tages nicht mehr da ist. Vor Levys Geburt habe ich kaum an die Zukunft gedacht oder mir Sorgen um meine Sicherheit gemacht. Ich hab mich einfach treiben lassen. Ich wusste nie, was ich als Nächstes tun würde. Aber jetzt ist Sicherheit auf einmal eine verlockende Idee, und Berühmtheit ist gleich Sicherheit.
In diesem Moment, dem Moment, in dem ich so tief wie möglich einatme, in dem die Gedanken durch meinen Kopf rasen und miteinander kämpfen, in diesem Moment tritt Aaron zwischen mich und meine Schwester und legt mir beschwichtigend die Hand auf den Arm.
Und dann hören wir den Schrei. »Hilfe, Mister, Hilfe!«
Ich drehe mich um und sehe ein rundliches kleines Mädchen im Pool – Brookes Tochter? –, das sich mit einem Arm am Beckenrand festklammert und mit der anderen aufs Wasser zeigt.
Aaron springt, ja, er fliegt geradezu ins Wasser, und landet so, dass das Wasser hoch aufspritzt.
Wir werden alle nass.
Blitzschnell ist er untergetaucht, und als er wieder hochkommt, hält er Rachel im Arm. Smoke springt ebenfalls ins Wasser, gemeinsam schwimmen sie zum Beckenrand und legen Rachel dort behutsam auf den Betonboden.
Sie rührt sich nicht.
T-Bone macht Brooke auf die Szene aufmerksam. Sofort springt sie auf, rennt hin und beginnt, Rachel zu beatmen, während Smoke die Finger auf Rachels zierlichen Brustkorb legt. Regungslos liegt sie da, ohne zu atmen, vielleicht ebenfalls tot, o Gott, nein, das kann nicht sein, nicht auch das noch, wie soll Sky dann überleben? Und ich?
Brooke atmet für sie, Smoke drückt auf ihre schmale Kinderbrust. Nebeneinander kauern die beiden vor Rachel und versuchen sie wieder zum Leben zu erwecken.
Jetzt läuft auch Sky zu ihnen und beugt sich über ihre Tochter, zitternd und schluchzend, ihre Wut ist der Angst gewichen.
Levy weint, und ich streiche ihm beruhigend über den Kopf.
Ganz still liegt Rachel da. Ein paar Haarsträhnen kleben an ihrer Stirn. Smokes Finger drücken auf ihren Brustkorb, Brooke bläst Atem in ihre Lungen.
Immer wieder.
Die Zeit kriecht weiter. Ich sehe zu, wie Smoke und Rachel sich abmühen.
Und dann fängt Rachel auf einmal an zu husten und Wasser zu spucken. Sie sieht uns an, wie wir alle um sie herumstehen, setzt sich auf, schnappt nach Luft und fängt an zu heulen. Fast wie eine Sirene, hoch und durchdringend.
All das innerhalb von ein paar höllischen Minuten. Eine Hals-über-Kopf-Hektik wie in einem von diesen schrägen Filmen, wo die Zeit für ein paar Leute stillsteht, während sie sich für die anderen beschleunigt. Jeder von uns in einer anderen Zeitzone. Das pummelige Mädchen und ihr Bruder kauern drüben bei den Büschen. Levy klammert sich an mein Bein. Sky schluchzt lauthals. Aarons Klamotten sind klatschnass, wie in Zeitlupe fallen Tropfen auf den Beton. Red Dog und T-Bone stehen wie erstarrt am Beckenrand, Brooke und Smoke bewegen sich im Rhythmus ihres Atems.
Mit Rachels Schrei verändert sich alles. Die Zeit läuft wieder normal. Sky, Allie und ich fangen vor Erleichterung und Dankbarkeit an zu weinen. Brooke geht in die Hocke, die Hände auf den Oberschenkeln, dann umarmen sie und Smoke einander. Aaron, Red Dog und T-Bone klopfen Smoke auf die Schulter und fragen ihn, wo er Erste Hilfe gelernt hat.
Sky drückt Rachel an sich, und an ihrer Schulter beruhigt sich Rachel etwas. »Ist gut, alles ist gut«, sagt Sky immer wieder und wiegt ihre Tochter in den Armen.
Über Rachels Kopf hinweg begegnen sich unsere Blicke. In Skys Augen erkenne ich Erleichterung und Schmerz. Sie wendet den Blick nicht ab, sondern starrt mich an, erschöpft von Wut und Verzweiflung. Und dann laufen ihr auf einmal Tränen übers
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