Ann Pearlman
und dann war sie auf der anderen Seite des Kontinents. Heute hat sie sich geschminkt, sie trägt die Haare lang und offen. Sie sagt nichts zu mir, sondern geht zu Smoke hinüber und umarmt ihn. In seinen dicken Armen verschwindet sie fast.
Ich habe das Päckchen nicht aufgemacht, aber ich weiß, dass es von King ist.
Das Geschenk und die Blumen unter dem einen, Levy auf dem anderen Arm, gehe ich zu Aaron.
»Sehen wir doch mal, was ich da bekommen habe.« Mit meiner Offenheit möchte ich seine Eifersucht im Keim ersticken und Vertrauen schaffen.
Behutsam schiebe ich das Goldband weg, denn es ist zu schön, um es abzureißen und wegzuwerfen. Dann klaube ich den Klebestreifen ab, denn auch das Papier ist wunderbar. Als Aaron merkt, wie sorgfältig ich mich dem Päckchen widme, wird sein Stirnrunzeln noch stärker.
Vorsichtig hebe ich den Deckel ab. In der Schachtel liegt an einer Goldkette ein etwa sieben Zentimeter großer Anhänger in Form eines Schlüssels, besetzt mit orangefarbenen Steinen in der gleichen Farbe wie die Schminke in meinem Gesicht, nur dass sie auch noch in stärkeren Rotschattierungen glitzern. Daneben liegt eine Karte, auf der steht: »Für die feurige Li’l Key. K«, und darunter noch ein Karteikärtchen, auf dem erklärt ist, dass es sich bei den Steinen um seltene orangefarbene Saphire aus Ceylon handelt.
Offensichtlich hat King das Schmuckstück eigens für mich anfertigen lassen. Die Steine schimmern und leuchten.
»Ich geb dir alles, was du willst, und trotzdem tust du so was?«, fragt Aaron laut und abgehackt. Dann kommt er ganz nah heran und flüstert: »Dabei hatte ich noch vor einem Augenblick, als du auf der Bühne standst und von der Liebe gesungen hast, das Gefühl, dass wir eins sind.«
»Das waren wir auch. Ich habe das für dich gesungen, für uns.«
»Aber anscheinend ermutigst du ihn. Ein Mann macht einer Frau kein Geschenk für zigtausend Dollar, ohne dass er weiß, es ist eine Anzahlung für irgendwas, was er unbedingt kriegen möchte.«
»Es ist eine Anzahlung auf das Geld, das er mit mir zu verdienen hofft«, entgegne ich und lasse die Kette auf den Boden fallen. Dann schaue ich mich nach dem Typen um, der sie mir gebracht hat, aber er ist nicht mehr da, die Tür zum Saal schließt sich gerade hinter ihm. Jetzt liegt die Kette auf dem Boden, der Anhänger glitzert mit seinen Steinen, Schimpf und Schande hin oder her.
Aber es ist zu spät. Aaron hat sich auf dem Absatz umgedreht und ist gegangen.
Aber was hätte ich denn tun sollen?
Eine Frau mit glatten schwarzen Haaren, fast pupillenlosen Augen, einem magentaroten Spaghettiträger-Top, aus dem ihre Titten hervorquellen, einer hautengen kobaltblauen Hose, die ihren Hintern zur Geltung bringt, und Stilettos, die sie fast so groß machen wie Special, stürzt sich auf ihn. »Hi, Süßer«, höre ich sie sagen, »du hast super ausgesehen auf der Bühne. Que lindo eres, auch in echt.«
Es ist so leicht, einfach wegzugehen. So leicht für ihn, so leicht für mich.
So leicht.
Inzwischen zieht die aufgetakelte Tussi Aaron zu sich und küsst ihn auf die Wange, streicht ihm über den Rücken, und ihre Hände machen erst knapp über seinem Hintern halt. Aaron lässt sie machen. Ist das seine Rache? Oder das, was er sich insgeheim wünscht? Ich weiß es nicht.
Schließlich drehe ich mich weg und bücke mich nach der Kette.
Vielleicht benutzt er King ja auch nur als Entschuldigung, um ein paar neue Frauen aufzugabeln.
Die Steine glitzern. Eigentlich bin ich überhaupt nicht scharf auf Schmuck und kaufe mir meine Klamotten meistens in Second-Hand-Läden. Aber King hat mir etwas geschenkt, von dem ich gar nicht wusste, dass ich es mir wünsche. Ein Totem. Ich wollte, ich hätte selbst dran gedacht und mir eines machen lassen.
Sky windet sich aus Smokes väterlicher Umarmung und kommt kopfschüttelnd auf mich zu. »Na, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, was, Tara?«, meint sie und zieht eine selbstgefällige Schnute. Dann hebt sie das Kinn und klickt missbilligend mit der Zunge, während sie mich mit ihren undurchlässigen, durchdringenden grauen Augen anstarrt.
Dabei habe ich nichts weiter getan, als meinen eigenen Song zu singen.
8
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Sky
A ls ich Tara das letzte Mal bei einem Auftritt erlebt habe, war sie zehn. Es war Spätfrühling und mein College-Semester gerade zu Ende, da haben Mom, Troy und ich ihr zugesehen, wie sie auf die Bühne marschiert ist, sich ans Klavier
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