Ann Pearlman
verbracht hat und ob er im Bett wirklich so gut ist. Vielleicht ist ja auch alles nur Fassade. Special konzentriert sich völlig aufs Publikum, er singt für die Zuhörer. Jetzt verstehe ich, wie er es geschafft hat, Rachel so schnell aus dem Pool zu holen. Er empfängt die subtilsten Signale von anderen Menschen, fast so, als hätte er einen sechsten Sinn.
Elegant und mühelos macht er dem Publikum klar, dass er einer von ihnen ist, und singt sogar eine Strophe über New Mexico - Sandland, Feuersonne, Tortillas und Bohnen, Türkis und sanftes Korallenrot.
Und dann stellt er Tara vor. Für den Bruchteil einer Sekunde werden ihre Augen groß und ängstlich, und als sie zu singen anfängt, kommt der erste Ton völlig schief raus. Hektisch huschen ihre Augen über das Publikum, und die Crew macht sich bereit, sie zu retten.
Sie kriegt es nicht hin, denke ich voller Freude. Ist das nicht schrecklich? Ich freue mich, weil meine Schwester etwas vermasselt. Dabei ist sie mir gegenüber doch so mitfühlend.
Aber sie fängt noch mal von vorne an, spielt einen Akkord, der eine neue Basis schafft, und dann singt und tanzt sie einen Song, den sie wohl selbst geschrieben hat. Mit Worten über die Liebe beherrscht sie den Saal, und so macht sie aus ihrem Stolpern einen Erfolg – wie immer.
Ist doch ironisch, denke ich, dass Tara, die sich alleine so wohlfühlt, ein Loblied auf die Liebe singt. Jede Liebe verändert sich, singt sie, immer. Ja, sie stirbt, denke ich.
Die Menge tobt vor Begeisterung. Und ich? Ich beobachte sie, meine kleine Schwester. Den Star. Sie ist wie immer und doch auch wieder nicht. Aufgemotzt und glamourös, als wäre sie irgendeine angesagte Berühmtheit, jemand Außergewöhnliches. Glitzernd und kraftvoll. Mit ihren großen grün umschatteten Augen beobachtet sie Special und schaut ins Publikum, nimmt alles in sich auf.
Und sie spielt ihren eigenen Song.
Ihren eigenen verdammten Song.
Ich hasse Gott. Das ist ein schrecklicher Gedanke. Aber ich denke ihn trotzdem. Ich hasse ihn, weil er zugelassen hat, dass mir so was passiert. Mir. Obwohl ich doch immer brav war. Obwohl ich immer versucht habe, alles richtig zu machen.
Taras Stimme liebkost die Worte und offenbart unser Leben. So reagiert sie auf Troy. Aaron. Levy. Sie strahlt ihre Liebe aus.
Ich frage mich, ob wir je darauf geachtet haben.
Ich frage mich, ob wir Liebe geben, damit sie empfangen wird. Was, wenn jemand Liebe anbietet, aber der andere merkt es nicht und geht einfach vorbei. Wuschschsch. Dann verpasst man sie einfach.
Dann kommt Tara zum Ende. Just Love .
Wahrscheinlich ist das alles, was man tun kann. Trotzdem lieben, nicht bis zur Selbstzerstörung, aber trotz allem. Liebe und Hoffnung – wenn man sie den Leuten zuwirft, fangen sie sie auf.
Die Menge stampft, singt, schreit und pfeift. Vor allem die Frauen nehmen die Botschaft begeistert auf.
Warum Tara?
Warum sie und nicht ich?
Dann packt Allie meine Hand, und wir sind unterwegs zum Backstage-Bereich. Ein Tisch mit Essen, Tara und Aaron umringt von ihren Fans. Rachel rennt zu mir, das Gesicht halb orange bemalt wie das von Tara, aber völlig verschmiert. Rachel hat das selbst gemacht, weil sie aussehen wollte wie ihre Tante. Das trifft mich hart.
Die Leute gratulieren Tara zu ihrem Solo-Debüt, Aaron umarmt sie, die Crew-Mitglieder klopfen ihr auf die Schulter, als wäre sie eine von den Jungs. Ein Reporter stellt ihr Fragen, Levy hängt an ihren Beinen.
Dann erscheint ein eleganter Mann in einem Armani-Anzug und überreicht Tara einen riesigen Strauß orangefarbener Rosen und eine kleine Schachtel. Sie entfernt das Geschenkband und öffnet den Deckel.
Edelsteine funkeln.
Der elegante Typ legt die Hände aneinander, als wollte er beten, und zieht sich zurück.
Aarons Gesicht verfinstert sich und wird kalt.
Ein Geschenk von einem anderen Mann.
Da hab ich sie erwischt.
Also ist doch nicht alles so perfekt, wie unsere kleine Miss Superstar uns glauben machen möchte.
»Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, was, Tara?« Meine eigene Stimme – wie sie zischend durch meine Zähne kommt, wie hasserfüllt sie klingt – schockiert mich zutiefst.
Ich beobachte ihre Augen, die Aaron folgen, aber er wendet sich von ihr ab, während sie das glitzernde Schmuckstück auf ihrer Handfläche betrachtet. Eine Frau mit einem Pfauen-Tattoo auf dem Arm berührt Aarons Schulter, zieht ihn an sich, streicht mit ihren verzierten Fingernägeln über seine Schulter den Hals hinauf
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