Ann Pearlman
gesetzt hat und die Hände einen Moment über den Tasten schweben ließ. Dann holte sie tief Luft, schlug einen Akkord von Rachmaninow an, und schon begannen ihre Finger selbstbewusst über die Tasten zu tanzen. Die Musik, die den kleinen Saal erfüllte, war so viel grandioser als das dünne Mädchen mit den zwei französischen Zöpfen. Als sie fertig war, überreichten Mom und ich ihr einen Strauß Seidenrosen, die heute noch ihre Wohnung in Detroit schmücken. Tara hängt total an allem, was sie einmal von uns geschenkt bekommen hat.
Jetzt in Albuquerque sitzen Allie und ich in der ersten Reihe. Ich versuche, die Aufregung und Begeisterung des Publikums in mich aufzunehmen, finde es aber schwierig.
Vor allem hast du dich selbst. Das ist am wichtigsten, hat Tara gesagt.
Nein. Am wichtigsten ist, dass ich Rachel habe. Ich glaube, ich selbst habe mich immer definiert durch meine Ziele und durch die Herausforderungen, denen ich gerecht werden wollte. Ich – das ist ein Gefühl permanenter Unzulänglichkeit. Nie bin ich kompetent, sicher oder gut genug. Ich bin nicht Troy, und ich kann ihn nicht ersetzen.
Jetzt ist der Saal halb dunkel, und Allie macht eine Bemerkung darüber, wie bunt und verrückt die Leute um uns herum aufgemacht sind. Jung, tätowiert, gepierct. Nicht viel anders als in Venice Beach. Begeistert von der ersten Band, die Spanisch und Englisch singt. Mir gefällt das Wortgetöse, das ich nicht verstehe – eine perfekte Chance, in meine eigenen Gedanken zu verschwinden.
Troy hätte Rachel beigebracht, ins Wasser zu springen. »Schau mir in die Augen. Du fliegst ein Stück durch die Luft, dann gleitest du mit den Fingerspitzen zuerst ins Wasser«, hätte er ihr gesagt. Er hätte mit Rachel quadratische Gleichungen geübt und beim Abschlussball oder der Graduierung vor Stolz gestrahlt. Alle diese Augenblicke sehe ich vor meinem inneren Auge aufblitzen … Troy steht mit Rachel auf dem Sprungbrett, überreicht ihr Blumen bei der Graduierungsfeier. In retuschierten Postkartenbildern sausen die Jahre an mir vorbei. Vater-Tochter-Begegnungen, die ich mir immer gewünscht habe und die ich selbst nie hatte. Aber ich bin fest davon ausgegangen, dass ich sie durch Troy und Rachel erleben würde.
Auch Tara hat keine solchen Erfahrungen.
Aber wir haben beide eine Menge Schmerz erfahren. Zum ersten Mal kommen mir die Unterschiede zwischen uns im Vergleich dazu winzig vor. Ein schwesterliches Band aus Schmerz, auch wenn Tara das nicht so sehen will. Sie redet nie über Stephen, und ich frage mich, wie seine Untreue sie beeinflusst hat.
Jetzt ist sie erwachsen und hat selbst einen Sohn. Und einen Mann, der sie liebt. Sie hat ihr Dilemma gelöst. Und nun muss meine Tochter das Gleiche durchmachen, was ich durchmachen musste. Aber wenigstens wissen wir beide, dass unser Vater uns geliebt hat.
Ich gebe mir selbst die Schuld, aber ich komme immer noch nicht dahinter, was ich eigentlich falsch gemacht habe.
Seit langer Zeit hat es mir heute endlich mal wieder Spaß gemacht, mich hübsch anzuziehen. Mein Shampoo riecht nach Ingwer, mein Duschzeug nach Lavendel. Ich habe mich mit einer Bodylotion eingerieben, die auf der Haut glitzert. Ich habe meine Haare gebürstet und dabei gemerkt, dass sie zu lang sind und dringend nachgeschnitten werden müssen. Gelber Lidschatten macht meine Augen noch grauer. Außerdem habe ich Mascara aufgetragen und danach die Wimpern gekämmt. Mir war bewusst, dass ich mich zum ersten Mal seit Troys Tod um mich selbst kümmerte. Als wir Rachel zu Levy in den Backstage-Bereich brachten, ist sie sofort zu Smoke gesaust und ihm um den Hals gefallen, dann ist sie Hand in Hand mit Levy davongehüpft.
In einem schwarzen Pailletten-Top mit einem orangefarbenen Blitz schlendert Tara auf die Bühne. Auch ihr Gesicht ist halb orange, die Augen gelblich-grün umrandet. Ein paar Strähnen ihrer bunten Haare hat sie sich ins Gesicht frisiert. Jede Bewegung, wie sie auf ihren Stilettos stöckelt und dabei die Hüften wiegt, verkündet Power. Tara hat den Saal im Griff, und als sie ans Keyboard geht, ist sie in ihrem Element, ist sie die Königin der Welt.
Smoke bewegt sich wie immer, nur wie er die Worte beim Singen hervorstößt, ist anders. Trotzdem ist er immer noch der Bär, der ruhende Pol, während T-Bone die Melodie vorantreibt und mit seinem übertriebenen Hüftschwung und den zweideutigen Gesten allem den Stempel »Sex« aufdrückt. Ich frage mich, ob Brooke die Nacht mit ihm
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