Ann Pearlman
ich habe sofort den Rosenduft ihres Parfüms in der Nase. »Wie geht es dir? Und wie geht es meinen beiden Männern?«
»Wir sind unterwegs nach Albuquerque.«
»Ich weiß. Ich wollte euch nur schnell Hals- und Beinbruch für das Konzert wünschen. Aaron kriegt es ja meistens nicht mit, wenn sein Telefon klingelt. Was macht deine Schwester?«
Ich erzähle Sissy von Sky und ihrer neuen Freundin, dass Aaron Rachel gerettet hat und Levy Worte erfindet.
»Du bist eine gute Schwester, Schätzchen«, stellt sie fest. Dann fragt sie noch: »Und was ist mit Special und Li’l Key?«
Das ist ihre Art, uns daran zu erinnern, dass es nur unsere Musik, unser Job ist, nicht wir selbst. Damit wir mit den Füßen auf dem Boden bleiben, vermutlich. Dann wünscht sie uns noch mal viel Glück und viel Spaß und schickt mit lautem Schmatzen Küsse für ihre Männer durchs Telefon.
Ich gehe zurück zu meinem Sitz und schaue zu Levy. Er hat die Djembe leicht angekippt zwischen die Knie geklemmt, so dass die Geräusche der Straße mitschwingen, und trommelt mit den Händen einen Sechsvierteltakt. Während ich seine Konzentration, seine Achtsamkeit und das versunkene, zufriedene Lächeln, das um seine Lippen spielt, beobachte, sehe ich ihn plötzlich als Erwachsenen vor mir. Wie immer erinnern mich seine Lippen an eine Rosenknospe, aber er lächelt genau wie meine Mom.
Neue Textzeilen erscheinen in meinem Kopf, und ich merke, dass sie sich von Troys Tod und der Möglichkeit, Aaron zu verlieren, abwenden und sich auf einmal mit Levys Heranwachsen beschäftigen. Ein positives Thema. Ganz leicht fließen die Melodien, und ich lasse mich von ihnen tragen.
Als ich aufblicke, erwische ich Aaron dabei, wie er mich ansieht.
»Lass hören.«
Also gebe ich das zum Besten, was ich bisher habe, einfach so, ganz allein, und mache Freestyle, obwohl mir klar ist, dass es eigentlich kein Rap-Song ist. Keine Ahnung, was für ein Song es ist.
Als ich fertig bin, schaue ich zu Aaron, und er nickt mir zu. Langsam und bedächtig.
»Das ist kein Rap«, beschwert T-Bone sich.
»Nein, das ist Li’l Key«, erwidert Red Dog.
Ich ziehe mich um für das Konzert. Inzwischen ist mein halb orange geschminktes Gesicht schon Teil meines Outfits geworden.
»Meinst du, Levy ist schon bereit mitzumachen?«, fragt Aaron, nur halb im Scherz.
»Wir können unmöglich zulassen, dass er den guten alten Smoke verdrängt«, gebe ich zurück.
»Du siehst superheiß aus heute Abend.«
Ich ziehe mir eine fuchsiarote Strähne über die Augenbraue. Das Orange bringt das Grün meiner Augen zum Leuchten, außerdem hab ich heute Abend auch noch gelben Glitzer-Lidschatten aufgetragen.
»Wie eine Tigerin«, sagt Aaron.
Ich mache meine Hände zu Krallen und knurre ihn an. »Grrrrr.«
»Wie süß«, grinst er.
Als unsere Vorgruppe tritt eine Latino-Band auf, ihre Musik ist eine Mischung aus englischem und spanischem Rap, und ich muss die Ohren spitzen, um sie zu verstehen. Aber das Publikum brüllt vor Begeisterung. Sie geben eine Zugabe, und ich weiß, dass wir uns anstrengen müssen, um den gleichen Applaus zu ernten. Prohibition of Prison kennen alle, recken die Fäuste in die Luft und grölen den Text mit uns. Als wir From the Midwest to the West singen, bin ich zwar nicht darauf vorbereitet, dass Special einen neuen Vers über New Mexico angefügt hat, bei dem es den Leuten hier offensichtlich warm ums Herz wird, aber ich bin stolz auf ihn. Vielleicht wird er eines Tages so groß sein wie King.
Dann bewegt er die Hand mit dem Mikro nach unten, um die Menge zum Schweigen zu bringen, und verkündet. »Wir haben heute etwas ganz Besonderes dabei. Ein Mitglied unserer Crew hat einen neuen Song für euch.«
Ich schaue zu Smoke und Red Dog und T-Bone, die hinter Special stehen, alle mit dem Mikro in der Hand, und sehe, wie sie Blicke wechseln. Offensichtlich sind sie genauso überrascht wie ich.
»Heute gibt Li’l Key ihr Solodebüt! Applaus für Li’l Key!« Special deutet mit dem Mikro auf mich.
Klar, ich hab ihm gesagt, dass ich das will, ich hab ihn darum gebeten, und er erfüllt mir meinen Wunsch. Ich bin zur Stelle. Aber bin ich auch bereit? Mein Herz klopft schneller.
Ich stehe auf und gleite in die Einleitungsakkorde von I’ll Miss Myself . Bei der ersten Silbe bricht meine Stimme. Ich trete vom Mikro weg und räuspere mich.
Aber dann rutscht mein Finger aus, und ich spiele einen falschen Ton. Mir wird flau im Magen. Seit Jahren habe ich keinen falschen
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