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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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Stoffes ausgehen. « 52 Ein Blick auf viele Tests, die an Erwachsenen durchgeführt wurden, belegt Städtlers These von der geradezu sprachlos machenden Ineffizienz des schulischen Lernens. Danach versagten 90 Prozent aller Erwachsenen bereits bei elementarem Hauptschulstoff, wobei noch nicht einmal tiefes Verständnis, sondern nur oberflächliches Wissen abgefragt wurde. Ein Prozent Wissensstoff bleibt also mutmaßlich von allem Gelernten übrig! Und dafür quälen sich unsere Kinder und Jugendlichen jeden Tag sechs bis neun Stunden pro Wochentag in der Schule herum, fürchten sich vor Klassenarbeiten, leiden unter Stresssymptomen, sammeln Frust an, belasten das Familienklima und lernen oft vor allem eins: Wie man das Lernen hasst!
    Was läuft hier so dermaßen schief, dass das ganze System als eine einzige absurde Veranstaltung erscheint? Eine Veranstaltung, die den Steuerzahler Milliarden kostet und gemessen am Aufwand offensichtlich gar keine Mühen wert ist und sich nicht lohnt? Das ineffizienteste Unternehmen der Welt! Die Antwort darauf wird bereits dem vorsokratischen Philosophen Heraklit von Ephesos zugeschrieben, wonach Lernen eben nicht darin besteht, Fässer zu füllen oder Schiffe zu beladen. Im gleichen Sinne schrieb der Renaissancegelehrte François Rabelais (ca. 1494 –1553): » Kinder wollen nicht wie Fässer gefüllt, sondern wie Leuchten entzündet werden. « Ähnlich formuliert es heute der Freiburger Neurobiologe, Psychotherapeut und Psychiater Joachim Bauer: » Ein Kind ist kein Aktenordner, in den man Blatt für Blatt Wissensinhalte einheften kann … « 53
    Der Begriff, der sich in den letzten Jahren für die Art eingebürgert hat, wie sich unsere Kinder an der Schule ihren Stoff aneignen, lautet: Bulimie-Lernen. Kurz vor der nächsten Klausur futtert man sich in Rekordzeit eine große Menge Wissen an, um es dann wieder auszuspucken und anschließend zu vergessen. Es ist dies die herkömmliche Weise, wie an deutschen Schulen der Bildungsauftrag erfüllt werden soll. Insbesondere nach der G8-Reform, die den Tayloristischen Akkord noch erhöht hat.
    » Mein Kopf ist voll. Zu voll. Was denken sich eigentlich diejenigen, die über unser Schulleben bestimmen? « , klagte im Jahr 2011 die Schülerin Yakamoz Karakurt in der Zeit. Obwohl sie nur Bestnoten schrieb, war die Neuntklässlerin an einem Hamburger Gymnasium entsetzt über ihr Schulleben: » Jeder weiß, dass die Schule nicht das Leben ist. Mein Leben aber ist die Schule, was heißt, dass da etwas falsch gelaufen sein muss. Ich komme um 16 Uhr aus der Schule und gehe nicht vor 23 Uhr ins Bett. Und das liegt nicht daran, dass ich fernsehe, mich entspanne oder sogar Spaß habe … Was bringt uns dieser Stress? Was haben unsere Eltern davon, dass wir ihre Rente in 30 Jahren sichern, aber heute schon kaputtgemacht werden? … Wir sollen Maschinen sein, die funktionieren, und das mindestens 10 Stunden am Tag. Aber funktionieren heißt nicht gleich lernen. Lernen bedeutet nämlich vor allem eins: Erfahrungen sammeln. Was bringt es mir, wenn ich die chemische Formel von Cola kenne? Was bringt mir dieses unnötige Wissen? Es kann sein, dass es einige Leute interessant finden. Es kann aber nicht sein, dass ich 14 Fächer habe und von mir erwartet wird, in jedem davon eine super Leistung zu bringen. 37 Stunden in der Woche bin ich in der Schule und bringe sie danach auch noch für mehrere Stunden mit nach Hause. Denn in der Schule wird uns wegen der Verkürzung der Schulzeit meist nur noch Theorie beigebracht, damit wir die Übungen zu Hause machen dürfen … Schüler, Eltern, Lehrer: Wir alle dürfen es nicht normal finden, wenn Kinder länger am Schreibtisch sitzen als arbeitende Eltern! Auf dem Gymnasium wird uns beigebracht, uns eine eigene Meinung zu bilden, aber nicht, wie wir sie äußern und damit etwas bewirken können … Es mag für einige übertrieben klingen, aber die Schule nimmt mir gerade das Wichtigste, was ich besitze: meine Kindheit. « 54
    Unter solchen Vorzeichen mutet es zynisch und sarkastisch an, wenn die vormalige Bildungsministerin Annette Schavan noch im Januar 2013 das Turbo-Abitur mit den Worten verteidigte: » Ich bin überzeugt, das ist ein Freiheitsgewinn. « 55
    Um Kinder nicht zu braven Büroangestellten zu dressieren, die kritiklos Dienst nach Vorschrift machen, muss die Stoffhuberei an unseren Schulen drastisch verringert werden. Man muss sich nur einmal kurz überlegen, wie viel neues Wissen allein in den letzten

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