Anna, die Schule und der liebe Gott
gehen?
Worauf auch immer es im Ganzen hinauslaufen würde, mit der Schule, wie wir sie allgemein kennen, hätte es wahrscheinlich nicht allzu viel zu tun. Etwas völlig Neues würde vermutlich entstehen. Etwas, das nicht zu wohlfeilen Witzen taugt über das Herumdoktern mit verschiedenen Bestuhlungsmustern in Reihen- oder U-Form. All diese Schönheitskosmetik aus der Sozialarbeiterepoche der Siebziger würde gleichsam niedlich wirken angesichts der gewaltigen Unterschiede des neuen Schulsystems im Vergleich zum alten.
Vieles in unserem Bildungssystem ist nur verständlich, wenn man seine Geschichte kennt, all die historischen Nöte und Notwendigkeiten, die es formten, einschließlich der vielen Zufälle, die dabei mitgewirkt haben. Und nicht wenig davon hat seinen Sinn heute verloren. Doch wenn diese Vermutung stimmt und das konventionelle Schulsystem in seinem tragenden Gebälk aus überholten Relikten und Ritualen früherer Epochen des Lernens und Lehrens besteht, warum wird es heute dann nicht radikal verändert?
Die Antwort, so scheint es, geben uns die Sozialpsychologen. Wer etwas in seinem Leben lange auf eine bestimmte Weise gemacht hat, ist normalerweise nur selten entzückt und beglückt, wenn man ihm sagt, dass das falsch ist. Verbesserungsvorschläge werden oft als Angriffe empfunden und bewertet. Und der erste Reflex darauf ist Verteidigung, selbst wenn man für die Umstände seines Tuns letztlich gar nicht verantwortlich war. Immerhin droht das In-Frage-Stellen einer langen Arbeits- oder Lebensleistung, die wir schon deshalb nicht kritisiert sehen wollen, weil sie ein irreversibler Teil unseres gelebten Lebens ist. Und am stärksten von dieser Bedrohung und Verunsicherung durch die Kritik am Schulsystem betroffen sind die Lehrer …
48 Vgl. Christian Füller: Warum Privatschulen immer beliebter werden, in: mobil.stern.de/panorama/alternativen-zur-staatlichen-bildung-warum-privatschulen-immer-beliebter-werden-1617216.html
49 Siehe: www.einstein-website.de
50 Khan (2012), S. 249 (Übersetzung RDP )
51 Gruschka (2011), S. 9 – 10
52 Städtler (2010), S. 422
53 Bauer (2008), S. 15
54 Siehe: www.zeit.de/2011/34/P-Schule
55 Siehe: www.noz.de/lokales/68816303/bildungsministerin-schavan-zu-gast-bohmte-groe-schulen-sind-groer-quatsch
56 Zitiert nach Reinhard Kahl: www.ggs-poll-koeln.de/docs/Vortrag_Kahl.pdf
57 Sußebach (2011)
58 Lohmann (1987), S. 12 – 14
59 Singer (2009), S. 26
60 Ebd., S. 28
61 Montessori (2001), S. 10
62 Singer (2009), S. 15
63 Ebd., S. 11
Die Bildungsrevolution
Wie geht Lernen?
Der Mensch soll lernen, nur die Ochsen büffeln.
Erich Kästner
Die Biologie des Lernens
Lernen zu lernen, muss niemand lernen. Jeder Mensch mit einem intakten Gehirn kommt mit einem tiefen Bedürfnis zu lernen auf die Welt. Alles Unbekannte zieht uns an, will begriffen, ertastet und erforscht werden. Wir lernen laufen, weil wir es wollen, wir lernen sprechen, weil wir es wollen, und wir lernen verstehen, weil wir es wollen. Unsere Neugier auf das Leben ist von Natur aus unbändig und ungebändigt. Erfahrungen helfen uns dabei voranzukommen. Und je anspruchsvoller die Dinge werden, mit denen wir uns beschäftigen und die wir zu verstehen suchen, umso mehr schulen wir dabei unsere Intelligenz.
Wann immer wir eine Lernerfahrung machen, und das geschieht bei Kindern fast unausgesetzt, verändert sich ein kleines bisschen in unserem Gehirn. Obwohl es nur zwei Prozent unseres Körpergewichts ausmacht, geht 20 Prozent aller Energie, die wir verbrauchen, ins Oberstübchen; bei Kindern sogar noch mehr. Alles, was wir erleben und aufnehmen, sortieren wir in Windeseile nach der Frage, ob es für uns relevant ist. Und das ist vor allem das, was neu ist oder wichtig oder am besten beides. Dabei denken wir selten lange darüber nach, ob etwas wirklich relevant ist, wir fühlen es vielmehr. Auf diese Weise haben sich unsere Gehirne für das Leben und Überleben in einer sozial überaus komplizierten Umwelt entwickelt und perfektioniert.
Doch was genau geht in unserem Gehirn vor sich, wenn wir lernen? Unsere Sinnesorgane, ein Geflecht aus zweieinhalb Millionen Nervenfasern, nehmen jede Sekunde eine nahezu unvorstellbare Menge an Reizen auf, ein Datentransfer von etwa 100 Megabyte. Sofort setzen starke Filter ein, die das wenige Relevante von vielem Irrelevantem, das heißt Bekanntem oder Unbedeutendem, reinigen. Wenn eine Nervenzelle Informationen aufnimmt und verbindet, kommuniziert sie mit anderen
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