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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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Nervenzellen. Nervenzellen sind so etwas wie kleine Kerne mit mehr oder weniger langen, fadenartigen Auswüchsen, den Axonen. Am Ende dieser Fäden befinden sich Verzweigungen, die Dendriten. Und am Ende dieser Dendriten liegen die Synapsen. Sie sind die Schleusen, von denen aus Informationen elektrochemisch an die Synapsen einer anderen Nervenzelle weitergeleitet werden. Eine einzige Nervenzelle kann bis zu 10 000 Synapsen besitzen, und immer, wenn eine Zelle » lernt « , kommen neue hinzu. Je mehr Synapsen sich von einer Nervenzelle zur anderen miteinander verbinden, umso besser fließt der Strom und mit ihm die Information. Lernende Zellen wachsen zusammen, indem sich die Signalübertragung verstärkt. Schon im Jahr 1949 erkannte der kanadische Neuropsychologe Donald O. Hebb von der McGill-University in Montreal dieses Zusammenwirken von Feuern und Verdrahten, Fire and Wire. Aus der Sicht eines Hirnforschers ist Lernen also nichts anderes als das Wachstum von Nervenzellen im Gehirn, die sich stärker miteinander verknüpfen. Je intensiver man sich mit etwas auseinandersetzt und je anspruchsvoller die Sache ist, umso mehr Proteine werden hergestellt, um rege Verbindungen aufzubauen. Und je besser die bereits vorhandenen Verbindungen sind, umso leichter fällt es unseren Nervenzellen, neue zu erzeugen. In diesem Sinne kann man mit Fug und Recht behaupten, dass Lernen intelligent macht.
    Eine der spannendsten Fragen dabei ist, wie unser Gehirn es anstellt, das Relevante vom Irrelevanten zu unterscheiden. Denn um sofort zu wissen, was neu oder wichtig sein könnte, muss unser Gehirn über ein hoch automatisiertes Wissen darüber verfügen, was bekannt oder uninteressant ist. Den ganzen Tag tragen wir eine hintergründige Erwartungshaltung mit uns herum, was wir als normal und bekannt voraussetzen, sodass uns das Abweichende als solches überhaupt auffällt. Unsere Gehirnchemie befindet sich dabei in einem mehr oder weniger ausgewogenen Zustand. Tritt aber plötzlich etwas auf, das uns größere Lust oder Unlust bereitet, so werden Stoffe ausgestoßen, die unser Gehirn freudig oder stressend erregen. Im Fall einer freudigen Erregung spielt besonders ein Botenstoff eine große Rolle: der Neurotransmitter Dopamin. Erzeugt wird er im Mittelhirn, insbesondere in der Substantia nigra. Dopamin ist ein Einpeitscher, ein Erreger, Stimulator und Motivator. Was mit Dopamin überschwemmt wird, geht mit verschärfter Sensibilität, größerer Wachheit und höherer Begeisterung einher. Unsere Aufmerksamkeit verstärkt sich, und das Lernvermögen nimmt zu. Plötzlich sind wir voll bei der Sache, optimistisch, voller Selbstvertrauen und gespannter Erwartung – für die allermeisten Menschen ein großartiger Zustand. Wir erleben ihn beim Sex, unter dem Einfluss bestimmter Drogen, bei großen sportlichen und sozialen Erfolgserlebnissen, starker Freude, positiver Überraschung und eben auch beim freudigen und begeisterten Lernen. Manchmal werden wir schon bei der Vorfreude auf etwas ganz kribbelig – ein Zeichen, dass unser Dopaminspiegel in bestimmten Gehirnregionen steigt.
    Dabei ist es nicht das Dopamin allein, das uns in eine solche Erregung versetzt, sondern das, was es an Folgereaktionen im Gehirn auslöst. Der Neurotransmitter aktiviert nämlich den Nucleus accumbens, einen zentralen Kern unseres » Belohnungssystems « . Wird er mit Dopamin geschwemmt, setzt er einen chemischen Kreislauf von stimulierenden Substanzen (Opiate) in Gang, die eine Belohnung erwarten lassen. Erfolgt diese Belohnung tatsächlich, so werden positive Signale zurückgesendet, die den Nucleus accumbens erneut aktivieren und so fort. Dabei wecken besonders starke Euphorien meist das Bedürfnis nach schneller Wiederholung, nicht zuletzt mit der Gefahr einer starken Abhängigkeit von der Belohnung, mithin einer Sucht.
    Kinder kennen diesen Zustand ebenso wie Erwachsene. Kinder, die sich über Stunden in ihrer eigenen Spielwelt befinden, erleben oft einen Flow, ein andauerndes lustvolles Bei-sich-selbst-Sein. Nahezu aus sich selbst heraus erhalten die Dinge des Lebens einen Wert und eine Bedeutung – ein Zustand, den viele Erwachsene gar nicht mehr oder nur unter Mühen oder Alkoholeinfluss herstellen können. Das für Erwachsene so Besondere am Flow ist, dass Glück und Zufriedenheit hier nicht, wie üblich, durch das Erreichen eines Ziels samt Belohnung erfahren wird, sondern durch die Tätigkeit selbst. In dieser Hinsicht gleicht Lernen in der

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