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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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werkeln, tanzen, kochen oder Theater spielen – und das nicht nur als Zusatzangebot, sondern als integraler Bestandteil des Unterrichts. Eine Forderung, die schon Kerschensteiner aufgestellt hatte, als er meinte, dass pädagogische Arbeit manuell, praktisch und geistig zugleich geprägt sein sollte. Nach den heutigen Erkenntnissen der Lernpsychologie handelt es sich dabei nicht mehr um eine Meinung, sondern um eine gut ausgewiesene und wissenschaftlich begründete Forderung.
    Normales Lernen in der Lebenswelt bedeutet zumeist eine untrennbare Mischung aus Kognition und Emotion. Was ich von Eltern, Freunden und anderen prägenden Menschen annehme oder bei ihnen ablehne, ist keine rein kognitive Sache. Von geliebten oder sympathischen Menschen lasse ich mir viel lieber etwas sagen als von unsympathischen. Und von ganz üblen Zeitgenossen lerne ich vor allem, was mir missfällt und wogegen ich rebelliere. Das Schulsystem hingegen kennt andere – künstliche – Regeln. Denn ob ich meinen Klassenlehrer oder meinen Chemielehrer mag, ob ich ihn für eine spannende Persönlichkeit halte oder eine Pflaume – all dies soll sich, der Idee nach, eben nicht in meinem Lernen und meinen Leistungen widerspiegeln und steht nicht als Randnotiz auf dem Zeugnis: » Anna hat eine Fünf in Chemie, auch weil sie der Überzeugung ist, dass Herr Schmidt schlecht erklären kann und sie sich in seinem Unterricht nicht wohlfühlt, sodass sie oft nicht aufpasst. «
    Der Bildungsbegriff, der sich durch unser konventionelles Schulsystem zieht, ist ein rein kognitiver. Die emotionalen Begleitumstände, die mehr als alles andere über den Lernerfolg entscheiden, fallen durch den Rost. Dabei fordert das künftige Leben und Berufsleben von unseren Kindern genau dies: ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz! Sich in der Lebenswelt oder am Arbeitsplatz gut zu orientieren, geht nicht ohne Herzensbildung. Unsere Firmen, unsere Verwaltungen, unsere Politik und auch unsere Schulen und Universitäten sind voll mit Verantwortlichen, denen es genau an einer solchen Herzensbildung mangelt: Manager, die ihre Mitarbeiter nicht motivieren, sondern demotivieren. Politiker, die glatt wie Teflon wirken, ohne jede persönliche Leidenschaft. Verkäufer, die die Wünsche ihrer Kunden nicht lesen und verstehen können, und Lehrer und Ärzte, die keine Empathie für ihre Schüler und Patienten aufbringen.
    Dass der Mensch » ganzheitlich « gebildet werden müsse, ist eine Forderung schon aus der klassischen Antike. In immer neuen Worten wiederholt, begegnet man ihr im deutschen Idealismus des späten 18. Jahrhunderts ebenso wieder wie in der Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts mit ihren ethisch-pädagogischen Konzepten. In unserer Zeit der digitalen und vernetzten Kommunikation und der immer anspruchsvolleren Berufsprofile steht das Postulat nach » Ganzheitlichkeit « notwendig vor einer Renaissance. Zwar war es mithin immer gut, wenn man emotional intelligent war im Alltag wie im Berufsleben, aber in Zukunft wird es in den meisten Berufen gar nicht mehr ohne emotionale Intelligenz gehen.
    Projekte statt Fächer
    Mastery Learning sollte erst von einem bestimmten Alter an ein wichtiger Faktor des Unterrichts werden, frühestens mit dem vierten Schuljahr. Zuvor lassen sich Kinder noch sinnvoll im Klassenverband unterrichten. Und auch nach dem vierten Schuljahr ist es nur dann ein sinnvoller Teil des Tagesplans, wenn es, wie Khan vorschlägt, auf etwa ein bis zwei Stunden am Tag, möglicherweise am Anfang des Unterrichts, begrenzt ist. Alles weitere Lernen mit Computersoftware sollte ein Zusatzangebot sein. Dabei gibt es Wissensbereiche, die am besten in einer Gruppe erarbeitet werden können. Viele Fähigkeiten kann man nicht allein, sondern nur im Umgang mit anderen erlangen und trainieren. Eine Rede halten, seine Meinung in Diskussionen bilden und verteidigen, sich etwas erzählen lassen und es aufnehmen, eine Rolle spielen, Verantwortung für etwas übernehmen, an einem Experiment basteln, andere Menschen verteidigen usw. kann man nicht mit einer Lernsoftware. Skinners Vorstellung, dass alles Lernen am besten mit einer Lernmaschine geschehe, war ohne Zweifel eine der unmenschlichsten und bizarrsten Ideen der Pädagogik.
    Aber all die sozialen Fertigkeiten, von denen hier die Rede ist, lernt man auch nicht besonders gut in einem konventionellen Klassenzimmer. Man lernt sie am besten in Projekten. Sie sind der Rahmen, in dem das am Computer erworbene Fachwissen

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