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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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umso größer wurde ihre Neugier. Gleichzeitig zeichneten, bastelten und werkelten sie an ihren eigenen Designobjekten – neuen Möbeln für ihre Schule. Und die Ergebnisse waren berührend und sensationell. Noch wichtiger aber war, was sich bei den Kindern gleichzeitig entwickelt hat: neue Ziele und ein anderer Blick auf sich und das Leben: » Viele Kinder wollten jetzt auch Designer werden. Die Erwachsenen ermutigten sie, aber sie gingen auch ehrlich mit ihnen um. Nicht jeder könne ein Philippe Starck werden. Es gibt jedoch viele Berufe, die auch mit Design zu tun haben. Kevin verrät Christiane Germain, dass er ursprünglich Busfahrer oder Dealer wie sein großer Bruder werden wollte. Jetzt wolle er besser in der Schule arbeiten, um auch andere Berufe auswählen zu können. « 127
    Wenn es richtig ist, dass wir die Träume und Wünsche, die uns ein Leben lang begleiten, schon in unserer Kindheit und Jugend träumen und entwickeln, dann fällt der Schule auch hier eine enorme Bedeutung zu. Denn viele Kinder kennen aus ihrem Elternhaus keine Anregungen und Leitbilder, die abseits eines oft eintönigen, eindimensionalen und trostlosen Alltags liegen. Allein die Tatsache, dass jemand von außen, dazu eine interessante Persönlichkeit, in ihre Schule kommt, um mit ihnen zu arbeiten, wertet sowohl die Schule wie auch das Selbstwertgefühl der Kinder enorm auf. Wie ernst genommen und wie wertvoll muss man sich fühlen, wenn der, der einen unterrichtet oder coacht, dies nicht allein aus Profession, sondern vor allem aus Passion macht? Freiwillig und aus Leidenschaft? Aus echtem Interesse an den Kindern oder Jugendlichen?
    Vergleichbares gilt auch für die dritte Möglichkeit, um Lehrer von außen in die Schule zu bringen. Im Jahr 1990 starteten in den USA und 2002 in England Projekte mit den Namen Teach For America und Teach First, die immer noch laufen. Absolventen erstklassiger Universitäten verpflichten sich vor ihrem Karrierestart dazu, zwei Jahre lang Schulklassen in sozialen Brennpunkten zu unterrichten, um sich in einer solchen Situation zu bewähren. Die Idee dahinter: Die besten Studenten kümmern sich um die schlechtesten Schüler. Profitieren von diesem Projekt sollen beide Seiten. Die Elitestudenten sollen das echte Leben kennen, Erfahrungen sammeln und unter Beweis stellen, dass sie sich in einem derartigen Umfeld behaupten können. Und die Kinder und Jugendlichen sollen sich vom Elan, der Cleverness und dem Ehrgeiz der künftigen Topmanager inspirieren lassen. Mit einem Mal steht ihnen jemand gegenüber, der nicht immer schon Lehrer werden wollte, sondern jemand, dem auch alle anderen Wege offenstehen. Und dieser Jemand will sie nun mitreißen und vorwärtsbringen.
    Vor einigen Jahren ist die Idee auch nach Deutschland übergeschwappt. In fünf Bundesländern sind bislang leider erst rund hundert Hochschulabsolventen im Rahmen von Teach First Deutschland im Einsatz. Das hat damit zu tun, dass sich der Enthusiasmus an den Schulen und bei den Lehrerverbänden zunächst in Grenzen hielt. Steckt in alldem nicht ein Angriff auf unsere ordentlich pädagogisch ausgebildeten Lehrer, wenn Leute in die Schule geholt werden, die gar keine Pädagogen sind? Haben wir es nicht sogar mit der kränkenden Vorstellung zu tun, dass Leute von außen allemal die besseren Pädagogen sind als unsere verbeamteten Lehrer? Steht hier nicht das Ethos eines ganzen Berufsstands auf dem Spiel? Und nicht zuletzt: Sollen unsere Kinder nun zu Versuchskaninchen gemacht werden für die ehrgeizigen Zukunftspläne angehender Jungmanager, die meinen, sich mal eben einen Sozial-Orden an die karrieregeschwellte Brust heften zu können?
    Völlig aus der Luft gegriffen sind diese Vorwürfe nicht. Und trotzdem überwiegen bei einer Abwägung der Chancen und Risiken die Chancen. Natürlich sollten die Uni-Absolventen gut in die Schule integriert werden und nicht sofort allein vor einer Klasse stehen. Aber als Bereicherung im Team sollten sie unbedingt willkommen sein. Der Lehrerberuf wird dadurch weiter aus seiner gesellschaftlichen Isolation befreit und durch neue Anregungen und neuen Schwung bereichert. Warum sollten unsere Kinder davon nicht profitieren? Besonders Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern – und hier insbesondere Jungen mit Migrationshintergrund – haben oft mehr Respekt und Interesse gegenüber einem künftigen » Alphatier « als gegenüber manchem feinsinnigen Pädagogen. Was immer als eine Chance begriffen werden kann,

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