Anna, die Schule und der liebe Gott
innerhalb des gegebenen Rahmens zu fördern. Die Motivation, etwas lernen zu wollen, kennt, wie gesagt, mindestens zwei wesentliche Faktoren. Wir lernen, weil wir Lust darauf haben, etwas zu lernen, und/oder weil wir auf soziale Anerkennung hoffen. Das eine ist als Triebfeder unseres Wollens vermutlich ebenso wichtig wie das andere, aber die Gewichtung ist individuell sehr verschieden. Allgemein scheint es eine leichte Tendenz zu geben, dass Jungen etwas stärker lustorientiert und Mädchen stärker an sozialer Anerkennung interessiert sind. Ob dies tatsächlich biologisch erklärbar ist, sei dahingestellt. Ebenso wichtig scheint zu sein, dass es an unseren Grundschulen viel mehr Lehrerinnen als Lehrer gibt und Jungen an deren Lob, Zuspruch und Anerkennung etwas weniger interessiert sind als Mädchen. Auf diese Weise wird soziales Anerkennungsverhalten von Mädchen im stark prägenden Grundschulalter meist früher und intensiver eingeübt als von Jungen.
Damit Kinder ihr Lernen nicht als sinnlos empfinden, muss es mit Lust und/oder Anerkennung verbunden sein. Und die herkömmliche Kultur der Anerkennung ist der Lohn für eine Befähigung – die Ziffern-Zensur. Was nützt mir das größte Kompliment und der netteste Zuspruch meiner Lehrerin, wenn ich am Ende doch eine Vier oder Fünf auf dem Zeugnis habe? Dass dieses System der Individualität und Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen nicht gerecht wird und sich somit überholt hat, wurde bereits ausgiebig besprochen. Die Frage ist: Was gibt es Besseres?
Zunächst einmal muss klar sein, dass die Abschaffung von Ziffern-Zensuren nicht bedeutet, dass man einen Wettbewerb der Kinder untereinander grundsätzlich ausschließt. Hier liegt ein häufig auftretendes Missverständnis. Manche Kinder brauchen und suchen den Wettbewerb, vor allem jene aus wettbewerbsorientierten Elternhäusern. Sie wollen sich messen und vergleichen, die Kräfte aneinander austesten usw. Fast jedes Ballspiel enthält diese Komponente. Der springende Punkt ist nur, dass die Kinder nur dort in den Wettbewerb miteinander treten sollen, wo sie es auch wollen. Ein naheliegendes Beispiel ist der Sport, wo jeder freiwillig in Konkurrenz mit anderen treten kann. Aber auch in allen anderen Bereichen ist ein produktiver Wettbewerb denkbar, so er denn gewünscht ist. Lern-Gruppen können gegeneinander in Vokabelschlachten antreten, solange niemand gezwungen ist mitzumachen. Projekte können parallel zum gleichen Thema mit ihren Ergebnissen konkurrieren. Und Schulmannschaften können auf vielen Feldern gegen andere Schulen antreten. Ein solcher Wettbewerb ist immer ein spielerischer Wettbewerb und setzt durchaus viel Adrenalin und Dopamin frei. Was dagegen der Vergangenheit angehören sollte, ist der Zwangswettbewerb, dem die Kinder heute im Klassenzimmermodell mit Ziffern-Zensuren ausgesetzt sind. Wer dies mit dem Argument verteidigt, dass Kinder von Natur aus Wettbewerb bräuchten, hat übrigens meistens ein sehr lernstarkes Kind in der Schule. Von Eltern mit lernschwachen Kindern kennt man solche Ansichten von der Natur des Kindes eher nicht …
Was also setzt man an die Stelle von Ziffern-Zensuren? Eine Antwort darauf ist bereits durch das System des Mastery Learning gegeben. Wer seinen eigenen Weg im eigenen Rhythmus geht und sich in der Welt der Mathematik vorwärtskämpft, rackert, müht oder spielt, erreicht nach und nach verschiedene Etappen oder Stufen. Dabei sollte ein deutschlandweit vorgegebenes Minimalziel für alle Schüler definiert werden. Wird dieses Ziel erlangt, und dies wird fast immer der Fall sein können, ist die Note überflüssig. Die Anerkennung lautet: » Geschafft! « Der Rest ist die Kür, die Pflicht ist erledigt und reicht für jeden Beruf aus, nur nicht für ein naturwissenschaftliches Studium, für Wirtschaftswissenschaften oder Statistik. Aber auch diese Ziele lassen sich bei Bedarf auf höheren Stufen erreichen.
Die Fähigkeiten, die nicht durch Mastery Learning erlangt und trainiert werden können, fallen unter dem Gesichtspunkt ihrer Beurteilung wiederum in zwei Bereiche. Der erste Bereich betrifft jene Fähigkeiten, bei denen man Leistung in Form von Tests sinnvoll messen kann. Ein Diktat lässt sich zum Beispiel auf Rechtschreibung hin bewerten. Der Schüler lernt dadurch, sich selbst besser einzuschätzen: Was kann ich schon, und wo mache ich noch Fehler? Entscheidend dabei ist, dass nicht alle Kinder das gleiche Diktat zum selben Zeitpunkt schreiben wie im
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