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Anna, die Schule und der liebe Gott

Anna, die Schule und der liebe Gott

Titel: Anna, die Schule und der liebe Gott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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Kindern, die es schwer haben, zu helfen – es sollte unbedingt genutzt werden.
    Die umgekehrte Hoffnung besteht darin, dass Menschen, die zwei Jahre in einer Berufswelt mit Menschen zusammenkommen, denen sie sonst nie ernsthaft begegnen würden, davon etwas mitnehmen. Die Sensibilität von Topmanagern gegenüber dem Fühlen und Denken, dem Leiden und dem Stolz von Hartz- IV -Empfängern und ihren Familien ist gemeinhin nicht sonderlich hoch. Wie anders dagegen muss die Sicht ausfallen, wenn man zwei Jahre lang mit Kevin und Hassan gelernt und gelitten, gefiebert und gebangt hat? Wenn man sieht, wie sie sich freuen und entwickeln, Hoffnung schöpfen, Einfälle haben und kreativ werden und ihre coolen Witze reißen? Man wünschte sich sofort, jeder deutsche Topmanager, Banker oder Politiker hätte irgendwann in seinem Leben zwei intensive Jahre mit solchen Kindern verbracht. Man denke – an rein zufälligen Beispielen ausgewählt – Hans-Olaf Henkel, Wolfgang Clement, Guido Westerwelle, Philipp Mißfelder, Annette Schavan, Dieter Hundt oder Kristina Schröder hätten so etwas einmal in ihrem Leben gemacht. (Und ersparen Sie sich den wohlfeilen Witz: » Die armen Kinder! « Vielleicht wären die Genannten ja ganz anders geworden nach so einer tief menschlichen Erfahrung.)
    Bedauerlich für die Diskussion um Teach First Deutschland ist, dass Bildungskritiker und Lehrervertreter die Initiative deswegen ablehnen, weil sie das dreigliedrige Schulsystem nicht in Frage stellt. Nach dem Motto: » Wer nicht für alle unsere Ziele streitet, ist unser Feind! « Dabei haben wir es wieder mit einer der vielen ideologischen Entweder-Oder-Fallen der Bildungsdiskussion zu tun. Tatsächlich sollte jeder willkommen sein, der einen Beitrag dazu leistet zu helfen. Das ist so, als verurteilte man Ärzte deswegen, weil sie die Krankheit nicht abschaffen. Selbstverständlich muss das dreigliedrige System überwunden werden, aber nicht jeder, der gegenwärtig hilft, wird damit zum Handlanger eines überholten Systems. Zunächst einmal trägt er dazu bei, Kindern eine Chance zu geben, die sonst keine haben. Und was sollte dagegensprechen, die Teach-First -Kandidaten der Zukunft in ein anderes als das alte dreigliedrige System zu integrieren?
    Angesichts der mit Teach First verbundenen Möglichkeiten wird man den Widerstand von manchen Lehrern und einigen Lehrerverbänden nur als historisch bezeichnen können. Denn einerseits wird es angesichts viel zu weniger Menschen, die heute Lehrer werden wollen, gar nicht anders gehen, als Profis von außen in die Schulen zu holen. Und zum anderen wird an den künftigen Lehrer-Akademien eine Generation von Pädagogen heranreifen, die ein anderes Berufsverständnis und kaum Probleme damit haben wird, kooperativ mit Lehrern von außen zusammenzuarbeiten. Ohnehin wird sich die Zahl der Nicht-Pädagogen in der Schule schon durch viele Lernpsychologen und Sozialarbeiter erhöhen, die schwierigen und förderungsbedürftigen Kindern unter die Arme greifen.
    Die persönliche Note
    Jede Schule muss die Leistungen ihrer Schüler bewerten, die Motivation der Kinder durch Lernziele anstacheln und Zeugnisse ausstellen. Auch alle neuen modernen Schulen werden dies tun müssen; eine Schule ohne Leistungskontrolle und Leistungsziele ist weder denkbar noch wünschenswert. Zudem wäre der Begriff » Potenzialentfaltung « völlig missverstanden, würde man darunter nichts anderes als ein entspanntes Spielen und Herumprobieren verstehen. Kinder und Jugendliche wollen gefördert und gefordert werden, um zu wachsen und sich zu entfalten. Ein Menschenbild, das dies bestreitet, ist weltfremd.
    Unsere Kinder leben in einer vorhandenen Welt, die sie nicht nach eigener Maßgabe erfinden können. Sie für das Leben vorzubereiten, bedeutet, sie dieser Welt zugewandt zu erziehen und ihnen zu helfen, sich in ihr zurechtzufinden, wie auch immer sie als Erwachsene das Gegebene später umgestalten möchten oder nicht. Der Stellenwert von Leistung in unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist hoch, höher als in früheren Zeiten – wenn er mithin nicht der einzige Maßstab für die Beurteilung von Menschen ist und ebenso wenig der einzige Gradmesser für Erfolg.
    Kinder auf diese Gesellschaft vorzubereiten bedeutet nicht, jeden Beurteilungsmaßstab zu übernehmen und Schüler systemkonform zu machen, also zu Anpassern zu erziehen. Es bedeutet vielmehr, die angeborene Neugier und den Entfaltungswillen von Kindern und Jugendlichen

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