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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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erwiderte sie. »Ja, ich quäle mich manchmal; aber das wird vorübergehen, wenn du nie wieder mit mir davon reden wirst. Nur dann, wenn du mit mir davon redest, nur dann quält es mich.«
     
    »Das verstehe ich nicht«, antwortete er.
     
    »Ich weiß«, unterbrach sie ihn, »wie schwer es deiner ehrlichen Natur wird, zu lügen, und du tust mir leid deswegen. Ich denke oft, daß du dir um meinetwillen dein Leben zerstört hast.«
     
    »Genau dasselbe habe auch ich diesen Augenblick gedacht: Wie du nur hast um meinetwillen alles opfern können!« erwiderte er. »Ich kann es mir nicht verzeihen, daß du unglücklich bist.«
     
    »Ich wäre unglücklich?« versetzte sie, indem sie zu ihm hintrat und ihn mit einem entzückten Lächeln der Liebe anblickte. »Ich bin wie ein Hungriger, dem man zu essen gegeben hat. Vielleicht friert er noch, vielleicht sind seine Kleider zerrissen, und er schämt sich; aber unglücklich ist er nicht. Ich wäre unglücklich? Nein, hier ist mein Glück ...«
     
    In diesem Augenblick hörte sie die Stimme ihres Sohnes, der sich dem Hause näherte; sie schaute sich mit einem schnellen Blicke auf der Terrasse um und erhob sich hastig. In ihren Augen leuchtete das ihm wohlbekannte Feuer auf; mit einer schnellen Bewegung hob sie ihre schönen, mit Ringen geschmückten Hände in die Höhe, faßte seinen Kopf, schaute ihn mit einem langen Blicke an, näherte ihm ihr Gesicht mit den geöffneten, lächelnden Lippen, küßte ihn schnell auf den Mund und auf beide Augen und schob ihn dann von sich. Sie wollte fortgehen, aber er hielt sie zurück.
     
    »Wann?« fragte er flüsternd und blickte sie entzückt an.
     
    »Heute nacht um eins«, flüsterte sie, seufzte tief und ging dann mit ihrem leichten, schnellen Schritt ihrem Sohne entgegen.
     
    Diesen hatte der Regen im Großen Garten überrascht, und er hatte mit der Kinderfrau längere Zeit in einer Laube gesessen.
     
    »Also auf Wiedersehen!« sagte sie zu Wronski. »Ich muß jetzt bald zum Rennen fahren. Betsy hat versprochen, mich abzuholen.«
     
    Wronski warf einen Blick auf die Uhr und brach eilig auf.
     

24
     
    A ls Wronski auf der Terrasse des Kareninschen Landhauses nach der Uhr gesehen hatte, war er so aufgeregt und mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, daß er zwar die Zeiger auf dem Zifferblatte gesehen hatte, aber nicht zur Erkenntnis hatte kommen können, wieviel Uhr es war. Er ging auf die Landstraße hinaus und begab sich, vorsichtig durch den Schmutz schreitend, zu seinem Wagen. Er war von seinem Gefühl für Anna so erfüllt, daß er gar nicht daran dachte, wieviel Uhr es sei und ob er noch Zeit habe, zu Brjanski zu fahren. Es war ihm, wie das nicht selten vorkommt, nur eine äußere Erinnerungsfähigkeit geblieben, die ihm angab, in welcher Reihenfolge er sich vorgenommen hatte, die einzelnen Handlungen zu verrichten. Er trat zu seinem Kutscher, der auf dem Bocke in dem schon schräg fallenden Schatten einer dichten Linde eingeschlummert war, betrachtete einen Augenblick die schillernden Mückenschwärme, die über den schweißbedeckten Pferden umherschwirrten, weckte dann den Kutscher, sprang in den Wagen und befahl ihm, zu Brjanski zu fahren. Erst als er bereits sieben Werst zurückgelegt hatte, kam er wieder so weit zur Besinnung, daß er nach der Uhr sah und begriff, daß es halb sechs und somit schon sehr spät war.
     
    Es fanden an diesem Tage mehrere Rennen statt: ein Rennen der Leibwache, dann ein Offiziersrennen über zwei Werst, eines über vier Werst und das, bei dem er selbst mitritt. Zu seinem Rennen kam er, wenn er sogleich hinfuhr, völlig zur rechten Zeit; aber wenn er erst noch zu Brjanski fuhr, so kam er erst im allerletzten Augenblick hin und erst dann, wenn schon der ganze Hof da war. Das war übel. Aber er hatte Brjanski sein Wort gegeben, noch zu ihm zu kommen, und daher entschloß er sich, weiterzufahren, und befahl dem Kutscher, die Pferde scharf anzutreiben.
     
    Er kam bei Brjanski an, blieb fünf Minuten bei ihm und jagte zurück. Diese schnelle Fahrt beruhigte ihn. Alles Bedrückende, das in seinem Verhältnisse zu Anna lag, die ganze Ungewißheit, die nach ihrem Gespräche zurückgeblieben war, all das kam ihm jetzt aus dem Sinn und den Gedanken; mit heller Freude und lebhafter. Erregung dachte er nun an das Rennen und daran, daß er doch noch zur rechten Zeit kommen werde, und nur zuweilen flammte der Gedanke an die Wonne des für die heutige Nacht bevorstehenden Zusammenseins wie ein

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