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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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und setzte sich an die Arbeit. Laska legte sich unter den Tisch; Agafja Michailowna setzte sich mit ihrem Strickstrumpf auf ihren gewohnten Platz.
     
    Nachdem Ljewin eine Zeitlang geschrieben hatte, erinnerte er sich auf einmal in ungewöhnlich lebendiger Weise an Kitty, an ihre ablehnende Antwort und an die letzte Begegnung mit ihr. Er stand auf und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
     
    »Sie brauchten sich ja hier nicht mehr zu langweilen«, sagte Agafja Michailowna zu ihm. »Wozu sitzen Sie denn immer noch zu Hause? Sie sollten nach einem Badeorte mit warmen Quellen fahren; mit Ihren Vorbereitungen sind Sie ja glücklicherweise fertig.«
     
    »Ich will ja auch übermorgen abreisen, Agafja Michailowna. Ich muß nur erst mein Unternehmen zum Abschluß bringen.«
     
    »Na, Ihr Unternehmen, das ist schon so das Richtige! Sie haben so schon den Bauern mehr als genug in den Rachen geworfen. Sie sagen ohnehin schon: ›Euer Herr wird vom Zaren dafür eine Gnade erhalten.‹ Ich muß mich immer wundern: warum machen Sie sich so viel Sorge um die Bauern?«
     
    »Ich mache mir nicht um die Bauern Sorge; ich tue das um meinetwillen.«
     
    Agafja Michailowna wußte mit Ljewins wirtschaftlichen Plänen ganz genau Bescheid; Ljewin hatte ihr seine Absichten oft mit allen Einzelheiten auseinandergesetzt und nicht selten mit ihr gestritten und sich ihren Anschauungen nicht anschließen können. Aber jetzt hatte sie das, was er sagte, völlig mißverstanden.
     
    »Ja, das ist gewiß, an sein Seelenheil muß man vor allen Dingen denken«, sagte sie mit einem Seufzer. »Da ist zum Beispiel Parfen Denisütsch; wenn er auch nicht lesen und schreiben konnte, aber er ist doch so gestorben, daß man nur Gott bitten möchte, jedem einen solchen Tod zu geben«, sagte sie; es war dies ein unlängst verstorbener Hofknecht. »Er hatte das Abendmahl genommen und die Letzte Ölung erhalten.«
     
    »Davon rede ich nicht«, antwortete er. »Ich wollte sagen, daß ich um meines eigenen Vorteils willen so handle. Es ist für mich vorteilhafter, wenn die Bauern besser arbeiten.«
     
    »Da können Sie tun, was Sie wollen: wenn so ein Bauer ein Faulpelz ist, dann wird er sich doch immer ungeschickt anstellen. Wenn einer ein Gewissen hat, wird er arbeiten; und wenn er keins hat, ist nichts dagegen anzufangen.«
     
    »Aber Ihr habt doch selbst gesagt, daß Iwan jetzt besser für das Vieh sorgt?«
     
    »Ich sage nur eins«, erwiderte Agafja Michailowna, und zwar offenbar nicht infolge eines plötzlichen Einfalls, sondern als Ergebnis eines streng logischen Gedankenganges: »Sie müssen heiraten, das ist die ganze Sache!«
     
    Daß Agafja Michailowna ganz denselben Punkt erwähnte, an den er soeben gedacht hatte, ärgerte und verdroß ihn. Er runzelte die Stirn und setzte sich, ohne ihr zu antworten, wieder an seine Arbeit; er wiederholte sich noch einmal im Kopfe alles, was er sich vorhin über die hohe Bedeutsamkeit dieser Arbeit gesagt hatte. Nur zuweilen horchte er in der tiefen Stille auf das Klappern von Agafja Michailownas Stricknadeln, und wenn ihm dann das einfiel, woran er nicht denken wollte, so zog er wieder die Stirn in Falten.
     
    Um neun Uhr wurde Schellengeläut hörbar und das dumpfe Geräusch eines Wagens, der in dem tiefen Schmutze hin und her schwankte.
     
    »Nun, sehen Sie, da bekommen Sie Besuch; nun werden Sie sich nicht mehr langweilen«, sagte Agafja Michailowna, stand auf und ging nach der Tür hin. Aber Ljewin überholte sie. Seine Arbeit wollte ihm jetzt nicht recht von der Hand gehen, und er freute sich über jeden Gast, mochte kommen, wer da wollte.
     

31
     
    A ls Ljewin die Treppe zur Hälfte hinuntergelaufen war, hörte er in der Vorhalle ein ihm wohlbekanntes Husten; aber er hörte es wegen des Geräusches seiner eigenen Schritte nur undeutlich und hoffte, sich geirrt zu haben; dann erblickte er die ganze lange, knochige, ihm so wohlbekannte Gestalt des Ankömmlings, und nun schien die Annahme, daß er sich doch vielleicht täusche, eigentlich nicht mehr möglich; aber immer noch hoffte er, daß er sich irre und daß dieser lange Mann, der da seinen Pelz auszog und so heftig hustete, nicht sein Bruder Nikolai sei.
     
    Konstantin Ljewin liebte seinen Bruder; aber mit ihm zusammen zu sein, war ihm immer eine Qual gewesen. Und nun gar jetzt, wo Konstantin infolge jenes Gedankens, der zuerst ihm selbst in den Sinn gekommen und dann von Agafja Michailowna ausgesprochen war, sich in einem unklaren,

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