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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Eingeständnis ihrer Untreue, von ihm gegangen, so würde ihn das geschmerzt haben, und er würde unglücklich darüber gewesen sein; aber er hätte sich nicht in einer solchen Lage wie jetzt befunden, in einer Lage, die er geradezu nicht verstand und aus der er für sich keinen Ausweg sah. Es war ihm jetzt ganz und gar unmöglich, die kürzlich von ihm so selbstlos gewährte Verzeihung, seine Rührung, seine Liebe zu der kranken Gattin und zu dem fremden Kinde in einen inneren Zusammenhang mit seiner jetzigen Lage zu bringen, das heißt damit, daß er jetzt gleichsam zum Lohne für alle seine Güte vereinsamt, beschimpft und verspottet dastand, von niemand gesucht und von allen verachtet.
     
    An den beiden ersten Tagen nach der Abreise seiner Frau empfing Alexei Alexandrowitsch wie gewöhnlich die Bittsteller und seinen Subdirektor, fuhr ins Komitee und ging zum Mittagessen in das Speisezimmer. Ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, zu welchem Zweck er das eigentlich tue, spannte er während dieser zwei Tage alle seine Geisteskräfte an, um eine ruhige, sogar gleichmütige Miene zur Schau zu tragen. Bei der Beantwortung der Fragen nach dem, was mit Anna Arkadjewnas Sachen und Zimmern geschehen solle, zwang er sich mit der größten Anstrengung, eine Miene zu machen, als ob für ihn das Vorgefallene nichts Unvorhergesehenes sei und nichts enthalte, was aus dem Rahmen des Gewöhnlichen heraustrete; und er erreichte seinen Zweck: niemand konnte an ihm eine Spur von seiner Verzweiflung gewahren. Aber als am zweiten Tage nach Annas Abreise Kornei ihm die Rechnung eines Modegeschäfts überreichte, die Anna zu bezahlen vergessen hatte, und ihm meldete, ein Angestellter des Geschäfts sei selbst da, ließ Alexei Alexandrowitsch ihn hereinrufen.
     
    »Verzeihen Euer Exzellenz, daß ich Sie zu belästigen wage. Aber wenn Sie befehlen, daß wir uns an Ihre Exzellenz wenden, so haben Sie vielleicht die Gnade, uns deren Adresse mitzuteilen.«
     
    Alexei Alexandrowitsch versank, wie es dem Angestellten vorkam, in Nachdenken; dann wandte er sich plötzlich um, setzte sich an den Tisch und stützte den Kopf in die Hände. In dieser Haltung blieb er lange sitzen, versuchte einige Male zu sprechen, hielt aber jedesmal wieder inne.
     
    Kornei, der die Empfindungen seines Herrn verstand, ersuchte den Angestellten, ein andermal wiederzukommen. Sobald Alexei Alexandrowitsch wieder allein geblieben war, sagte er sich, daß er nicht imstande sei, die Rolle des festen, ruhigen Mannes länger durchzuführen. Er ließ den Wagen, der schon auf ihn wartete, wieder ausspannen, ordnete an, es solle niemand vorgelassen werden, und kam zum Mittagessen nicht aus seinem Zimmer.
     
    Er fühlte, daß er diese von allen Seiten ihm entgegentretende Geringschätzung und Abneigung nicht ertragen könne, die er auch auf dem Gesicht dieses Angestellten so deutlich ausgeprägt sah und auf dem Gesicht Korneis und auf den Gesichtern aller ohne Ausnahme, mit denen er in diesen zwei Tagen zusammengekommen war. Er fühlte, daß er den Haß der Menschen nicht von sich abwenden konnte, weil dieser Haß nicht etwa davon herrührte, daß er ein schlechter Mensch gewesen wäre (dann hätte er sich ja bemühen können, besser zu werden), sondern davon, daß er durch ein schmähliches, garstiges Ereignis ein unglücklicher Mensch geworden war. Er wußte, daß sie deswegen, gerade deswegen, weil sein Herz auf das schmerzlichste zerrissen war, gegen ihn erbarmungslos sein würden. Er fühlte, daß die Menschen ihn vernichten würden, so wie Hunde einen andern, von Wunden zerfleischten, vor Schmerz heulenden Hund erwürgen. Er wußte, daß er sich vor den Menschen nur dadurch retten konnte, daß er seine Wunden vor ihnen verbarg, und er hatte das in diesen zwei Tagen unwillkürlich zu tun versucht; aber jetzt fühlte er sich nicht mehr imstande, diesen Kampf fortzusetzen.
     
    Seine Verzweiflung wurde noch durch das Bewußtsein gesteigert, daß er mit seinem Gram vollständig allein dastand. Er hatte in Petersburg keinen Menschen, demgegenüber er von allen seinen Empfindungen hätte sprechen können, keinen Menschen, der in ihm nicht den hohen Beamten und ein Mitglied der vornehmen Gesellschaft, sondern einfach einen leidenden Menschen gesehen und Mitleid mit ihm gehabt hätte. Und auch sonst kannte er nirgends einen solchen Menschen.
     
    Alexei Alexandrowitsch war als Waise aufgewachsen. Sie waren zwei Brüder. Des Vaters erinnerten sich beide nicht; die Mutter

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