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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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starb, als Alexei Alexandrowitsch zehn Jahre alt war. Vermögen war nur wenig vorhanden. Der Onkel Karenin, ein hoher Beamter und ehedem ein Günstling des verstorbenen Kaisers, sorgte für die Erziehung der beiden Knaben.
     
    Nachdem Alexei Alexandrowitsch das Gymnasium und die Universität mit Auszeichnungen besucht hatte, durchmaß er mit Beihilfe seines Onkels die ersten Strecken der Beamtenlaufbahn in glänzender Weise und kannte seitdem kein anderes Streben als den dienstlichen Ehrgeiz. Weder auf dem Gymnasium noch auf der Universität noch später während seiner Amtszeit knüpfte Alexei Alexandrowitsch mit irgend jemandem freundschaftliche Beziehungen an. Sein Bruder stand ihm seelisch noch am nächsten; aber dieser gehörte zum Stab des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten und lebte dauernd im Auslande, wo er bald nach Alexei Alexandrowitschs Verheiratung starb.
     
    Zur Zeit, als Alexei Alexandrowitsch das Amt eines Gouverneurs inne hatte, brachte Annas Tante, eine reiche, in der Gouvernementsstadt wohnhafte Dame, ihn, der damals zwar kein junger Mann mehr, aber für einen Gouverneur doch recht jung war, mit ihrer Nichte zusammen und versetzte ihn in eine solche Lage, daß er entweder dem jungen Mädchen einen Antrag machen oder die Stadt verlassen mußte. Alexei Alexandrowitsch schwankte lange. Es sprachen damals ebenso viele Gründe für diesen Schritt wie dagegen, und es lag eigentlich gar kein entscheidender Grund vor, der ihn hätte veranlassen können, von seinem Grundsatz: »Im Zweifelsfalle Zurückhaltung!« abzugehen; aber Annas Tante ließ ihm durch einen Bekannten eindringlich vorstellen, daß er das junge Mädchen bereits bloßgestellt habe und daß er nach dem Gebot der Ehre verpflichtet sei, ihr seine Hand anzubieten. So machte er ihr denn einen Antrag und widmete seiner Braut und künftigen Frau die gesamte Menge von Gefühl, deren er fähig war.
     
    Die Zuneigung zu Anna ließ jedes in seiner Seele noch übrige Verlangen nach einem herzlichen Verhältnisse zu anderen Menschen ersterben. Und jetzt stand ihm von allen seinen Bekannten kein einziger wirklich nahe. Er hatte viele sogenannte Verbindungen, aber keine freundschaftlichen Beziehungen. Alexei Alexandrowitsch kannte viele Leute, die er zu sich zum Mittagessen einladen, die er um ihre Mitwirkung bei einer ihn interessierenden Angelegenheit, um ihre Fürsprache für irgendeinen Bewerber bitten, mit denen er über die Handlungen anderer Personen und der höchsten Regierungsbehörden ohne Hemmung reden konnte; aber die Beziehungen zu diesen Leuten beschränkten sich auf ein durch Brauch und Gewohnheit fest begrenztes Gebiet, das zu überschreiten unmöglich war. Er hatte ja einen Universitätskameraden, dem er nachher etwas nähergetreten war und mit dem er allenfalls über seinen persönlichen Kummer hätte reden können; aber dieser Kamerad war Kurator in einem weit entfernten Bezirk der Unterrichtsverwaltung. Von seinen Petersburger Bekannten standen ihm verhältnismäßig noch am nächsten sein Subdirektor und sein Hausarzt.
     
    Michail Wasiljewitsch Sljudin, sein Subdirektor, war ein schlichter, verständiger, guter, braver Mann, und Alexei Alexandrowitsch hatte die Empfindung, daß er ihm persönlich zugetan sei. Aber ihr fünfjähriges amtliches Verhältnis hatte zwischen ihnen eine Schranke für Herzensergüsse errichtet.
     
    Alexei Alexandrowitsch blickte, nachdem er mit dem Unterschreiben der Papiere fertig war, seinen Untergebenen lange schweigend an und setzte mehrmals zum Reden an, konnte aber kein Wort hervorbringen. Er hatte sich schon den Satz zurechtgelegt: ›Haben Sie von meinem Kummer gehört?‹ Aber schließlich sagte er doch nur wie gewöhnlich: »Also bereiten Sie mir dies vor«, und entließ ihn damit.
     
    Der zweite derartige Bekannte war sein Arzt, der gleichfalls eine freundliche Gesinnung gegen ihn hegte; aber zwischen ihnen beiden bestand schon seit langer Zeit ein stillschweigendes Übereinkommen, einander nicht unnötig lange in Anspruch zu nehmen, da sie beide mit Arbeit überhäuft waren und es immer sehr eilig hatten.
     
    An seine Freundinnen und an die allererste unter ihnen, die Gräfin Lydia Iwanowna, dachte Alexei Alexandrowitsch überhaupt gar nicht. Alle Frauen waren ihm, einfach schon als Frauen, entsetzlich und widerwärtig.
     

22
     
    A lexei Alexandrowitsch hatte die Gräfin Lydia Iwanowna vergessen, aber sie ihn nicht. In diesem schwersten Augenblick seiner einsamen

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