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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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entgegenbringe und die er nicht verdiene, da sein ganzes Verdienst darin bestehe, daß er treu dem Adel ergeben sei, dem er in den zwölf Jahren seiner Diensttätigkeit sein Wirken gewidmet habe. Mehrere Male wiederholte er die Worte: »Ich habe, soviel in meinen Kräften lag, mein Amt treu und redlich geführt; ich weiß Ihre freundliche Gesinnung zu schätzen und danke Ihnen.«
     
    Aber auf einmal hielt er inne, da Tränen seine Stimme hemmten, und verließ den Saal. Mochten nun diese Tränen davon herrühren, daß er das Gefühl hatte, man lasse ihm nicht Gerechtigkeit widerfahren, oder kamen sie von seiner Liebe zum Adel oder von der Gespanntheit der Lage, in der er sich befand, da er merkte, daß er von Feinden umgeben sei: genug, seine Aufregung teilte sich auch anderen mit, die Mehrzahl der Edelleute war gerührt, und Ljewin empfand eine gewisse Zärtlichkeit gegen Snetkow.
     
    In der Tür prallte der Gouvernements-Adelsmarschall mit Ljewin zusammen.
     
    »Pardon, entschuldigen Sie, bitte!« sagte er zu ihm, wie zu einem Unbekannten; als er dann aber Ljewin erkannte, lächelte er schüchtern. Es kam Ljewin vor, als wollte Snetkow etwas sagen, sei aber vor Erregung nicht dazu imstande. Als Ljewin den Ausdruck seines Gesichtes und die Haltung seiner ganzen Figur sah, wie er in seiner Uniform, mit den Ordenssternen und den weißen, tressengeschmückten Hosen, hastig dahineilte, mußte er unwillkürlich an ein gehetztes Wild denken, das merkt, daß es mit ihm zu Ende geht. Dieser Ausdruck im Gesicht des Adelsmarschalls hatte für Ljewin besonders deshalb etwas Rührendes, weil er erst gestern in seiner Vormundschaftssache bei ihm in seinem Hause gewesen war und ihn dort in seinem ganzen Glanze als guten Familienvater gesehen hatte. Das große Haus mit den alten Familienmöbeln; die zwar nicht vornehmen und etwas unsauberen, aber aufmerksamen alten Diener, augenscheinlich frühere Leibeigene, die ihren Herrn nicht gewechselt hatten; die beleibte, gutherzige Hausfrau mit der Spitzenhaube und dem türkischen Schal, die ihre hübsche Enkelin, eine Tochter ihrer Tochter, auf dem Arme hielt und liebkoste; der forsche Sohn, Schüler der sechsten Gymnasialklasse, der eben aus der Schule kam und bei der Begrüßung seinem Vater die große Hand küßte; die herzlichen, freundlichen Worte und Gebärden des Hausherrn: alles das hatte gestern in Ljewins Herzen unwillkürlich ein Gefühl der Hochachtung und der Teilnahme für Snetkow hervorgerufen. Jetzt nun machte ihm der alte Mann einen überaus rührenden, traurigen Eindruck, und er wollte ihm gern etwas Angenehmes sagen.
     
    »Also Sie werden wieder unser Adelsmarschall werden?« sagte er.
     
    »Schwerlich«, erwiderte der Adelsmarschall und blickte dabei ängstlich um sich. »Ich bin müde, ich bin schon zu alt. Es sind Würdigere und Jüngere da als ich; mögen die das Amt übernehmen.«
     
    Und der Adelsmarschall entfernte sich durch eine Seitentür.
     
    Nun war der feierlichste Augenblick da. In wenigen Minuten sollte zur Wahl geschritten werden. Die Wortführer der einen und der anderen Partei rechneten an den Fingern die zu erwartenden Ja und Nein aus.
     
    Die Auseinandersetzung über Flerow hatte der neuen Partei nicht nur die Stimme Flerows eingebracht, sondern auch noch einen Zeitgewinn, so daß sie versuchen konnten, drei Edelleute herbeizuschaffen, die durch die Ränke der alten Partei der Möglichkeit beraubt worden waren, an den Wahlen teilzunehmen. Zwei Edelleute nämlich, die eine Schwäche für alkoholische Getränke besaßen, waren von Snetkows Helfershelfern betrunken gemacht worden; desgleichen ein dritter, dem sogar die Uniform weggenommen worden war.
     
    Als dies die neue Partei erfahren hatte, benutzte sie die Zeit der Verhandlungen über Flerow dazu, in einer Droschke einige der Ihrigen hinzuschicken, und es gelang, dem einen Edelmann zu einer Uniform zu verhelfen und auch von den beiden andern Betrunkenen wenigstens den einen zur Versammlung herbeizuschaffen.
     
    »Einen habe ich herbekommen; ich habe ihm Wasser über den Kopf gegossen«, meldete, zu Swijaschski tretend, der Gutsbesitzer, der die beiden hatte holen lassen. »Es geht mit ihm; er wird seine Sache schon machen.«
     
    »Ist er auch nicht zu sehr betrunken? Wird er uns nicht umfallen?« fragte Swijaschski kopfschüttelnd.
     
    »Nein, er ist ein strammer Bursche. Wenn sie ihn nur nicht hier wieder von neuem betrunken machen ... Ich habe den Bierausschenker streng angewiesen,

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