Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
und begann ihren Kaffee zu trinken.
Sie hob die Tasse in die Höhe, wobei sie den kleinen Finger abspreizte, und führte sie zum Munde. Als sie einige Schlucke abgetrunken hatte, blickte sie ihn an und merkte an seiner Miene deutlich, daß ihm ihre Handhaltung und das Geräusch, das ihre Lippen hervorbrachten, widerwärtig waren.
»Es ist mir vollständig gleichgültig, was deine Mutter denkt und mit wem sie dich verheiraten will«, sagte sie und stellte die Tasse mit zitternder Hand hin.
»Aber davon wollen wir nicht reden.«
»Doch, gerade davon. Und du kannst mir glauben, daß ich für eine Frau ohne Herz, mag sie nun alt oder jung, deine Mutter oder eine Fremde sein, kein Interesse habe und sie nicht kennen will.«
»Anna, ich bitte dich, von meiner Mutter nicht ohne Achtung zu reden.«
»Eine Frau, die in ihrem Herzen keine Empfindung dafür hat, worin das Lebensglück und die Ehre ihres Sohnes besteht, besitzt kein Herz.«
»Ich wiederhole meine Bitte: sprich nicht respektlos von meiner Mutter, die ich hochachte«, sagte er, indem er die Stimme erhob und sie mit einem strengen Blick ansah.
Sie antwortete nicht. Die Augen starr auf ihn, auf sein Gesicht, auf seine Hände gerichtet, vergegenwärtigte sie sich mit allen Einzelheiten die Szene der gestrigen Versöhnung und seine leidenschaftlichen Liebkosungen. ›Diese Liebkosungen, ganz dieselben Liebkosungen hat er auch anderen Frauen zuteil werden lassen und wird dies auch in Zukunft tun,‹ dachte sie.
»Du liebst deine Mutter gar nicht. Das sind alles nur leere Worte, Worte, Worte!« erwiderte sie und sah ihn mit einem haßerfüllten Blicke an.
»Wenn es so steht, dann müssen wir ...«
»Dann müssen wir einen Entschluß fassen, und ich habe meinen Entschluß gefaßt«, unterbrach sie ihn und wollte hinausgehen; aber in diesem Augenblick trat Jaschwin ins Zimmer. Anna begrüßte ihn und blieb stehen.
Warum sie, während in ihrer Seele ein furchtbarer Sturm tobte und sie fühlte, daß sie an einem Wendepunkt ihres Lebens stehe, wo ihr Entschluß die entsetzlichsten Folgen haben konnte, warum sie sich in diesem Augenblick vor einem fremden Menschen verstellen mußte, der früher oder später ja doch alles erfuhr, das wußte sie nicht; aber sie zwang sofort den Sturm in ihrem Innern zur Ruhe, setzte sich wieder und begann eine Unterhaltung mit Jaschwin.
»Nun, wie stehen Ihre Angelegenheiten? Haben Sie die Spielschuld bezahlt bekommen?« fragte sie den Gast.
»Nun, es geht; alles werde ich wohl kaum bekommen, und Mittwoch muß ich abreisen. Und wann reisen Sie?« fragte Jaschwin; er blinzelte Wronski mit halb zugekniffenen Augen an und hatte offenbar gemerkt, daß ein Streit vorhergegangen war.
»Wahrscheinlich übermorgen«, antwortete Wronski.
»Sie haben es ja auch schon lange vor.«
»Aber jetzt ist es beschlossene Sache«, sagte Anna und blickte Wronski gerade in die Augen, mit einem Blick, der ihm sagte, er möge jeden Gedanken an die Möglichkeit einer Versöhnung aufgeben.
»Tut Ihnen denn dieser unglückliche Pjewzow nicht leid?« fuhr sie in ihrem Gespräche mit Jaschwin fort.
»Ich habe mich noch nie gefragt, Anna Arkadjewna, ob jemand, der an mich verliert, mir leid tut oder nicht. Mein ganzes Vermögen steckt hier«, er zeigte auf seine Seitentasche, »und in diesem Augenblick bin ich ein reicher Mann; aber heute gehe ich wieder in den Klub und komme vielleicht als Bettler heraus. Wer sich mit mir zum Spiel hinsetzt, der will mich bis aufs Hemd ausplündern, geradeso wie ich ihn. Nun, da ringen wir eben miteinander, und darin besteht das Vergnügen.«
»Wenn Sie nun aber verheiratet wären, wie müßte dann Ihrer Frau zumute sein?« meinte Anna.
Jaschwin lachte.
»Darum habe ich eben nicht geheiratet und es auch nie vorgehabt.«
»Und Helsingfors?« fragte Wronski, indem er sich gleichfalls an dem Gespräch beteiligte und Anna anblickte, die mit lächelndem Gesicht dasaß. Aber als Anna seinem Blick begegnete, nahm ihr Gesicht auf einmal einen kalten, strengen Ausdruck an, als ob sie zu ihm sagen wollte: ›Ich habe das Vorhergegangene nicht vergessen. Es ist alles, wie es war.‹
»Haben Sie sich wirklich nie verliebt?« sagte sie zu Jaschwin.
»Ach Gott, und wie oft! Aber achten Sie auf den Unterschied: der eine setzt sich an den Kartentisch, ist aber imstande, sofort aufzustehen, wenn die Zeit des Stelldicheins da ist; ich
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