Anna Karenina
wie aufgeregt sie ist«, sagte der Engländer.
»O meine Liebe, Gute, o!« rief Wronski, indem er zu der Stute hintrat und sie zu besänftigen suchte.
Aber je näher er heranging, um so mehr regte sie sich auf. Nur als er sich ihrem Kopfe näherte, wurde sie auf
einmal still, und ihre Muskeln zitterten unter dem feinen, zarten Fell. Wronski streichelte ihr den festen Hals,
legte auf dem scharfen Kamm eine nach der anderen Seite hinübergefallene Strähne der Mähne zurecht und näherte sein
Gesicht ihren weit geöffneten Nüstern, die so dünn schienen wie die Flügel einer Fledermaus. Sie atmete mit
geblähten Nüstern geräuschvoll ein und aus, zuckte zusammen, drückte die spitzen Ohren an den Kopf und streckte die
festen, schwarzen Lippen nach Wronski aus, als ob sie ihn am Ärmel fassen wollte. Aber da sie sich des Kappzaumes
erinnerte, so schüttelte sie mit diesem und begann wieder mit ihren fein gedrechselten Füßen hin und her zu
treten.
»Immer ruhig, meine Liebe, Gute, immer ruhig!« sagte er und streichelte sie noch einmal mit der Hand über das
Hinterteil; dann verließ er die Box in dem frohen Bewußtsein, daß das Pferd sich in der besten Verfassung
befinde.
Die Erregung des Pferdes war auch auf Wronski übergegangen; er fühlte, wie ihm das Blut zum Herzen strömte und
daß er, gerade wie das Pferd, Lust bekam, wilde Bewegungen mit den Gliedern zu machen und um sich zu beißen; es war
ihm bänglich und froh zugleich zumute.
»Also ich verlasse mich auf Sie«, sagte er zu dem Engländer. »Seien Sie um halb sieben zur Stelle!«
»All right!« erwiderte der Engländer. »Wohin fahren Sie, Mylord?« fragte er unvermutet, indem er diesmal die
Anrede Mylord gebrauchte, deren er sich sonst fast nie bediente.
Verwundert hob Wronski den Kopf in die Höhe und blickte mit jenem Blicke, auf den er sich verstand, dem
Engländer nicht in die Augen, sondern auf die Stirn, erstaunt über die Dreistigkeit der Frage. Aber da er sich
sagte, daß der Engländer, indem er so fragte, in ihm nicht den Herrn, sondern sozusagen einen Jockei gesehen habe,
antwortete er ihm:
»Ich muß zu Brjanski; in einer Stunde bin ich wieder zu Hause.«
›Wie oft ist heute schon diese Frage an mich gerichtet worden!‹ sagte er bei sich selbst und errötete, was bei
ihm nur selten vorkam. Der Engländer richtete einen forschenden Blick auf ihn, und als ob er wüßte, wohin Wronski
fahren wollte, fügte er hinzu:
»Das erste Erfordernis ist, daß man sich vor dem Rennen in ruhiger Gemütsstimmung befindet. Seien Sie heiter,
und lassen Sie sich durch nichts die Laune verderben!«
»All right!« erwiderte Wronski lächelnd, sprang in den Wagen und befahl dem Kutscher, nach Peterhof zu
fahren.
Kaum war er einige Schritte gefahren, als eine dunkle Wolke, die schon seit dem Vormittag mit Regen gedroht
hatte, heraufzog und ein Platzregen sich ergoß.
›Schlimm!‹ dachte Wronski, indem er das Verdeck des Wagens in die Höhe schlug. ›Schmutzig war es so schon; nun
wird's der reine Sumpf sein.‹ Während er so allein im geschlossenen Wagen saß, holte er den Brief seiner Mutter und
den Zettel seines Bruders hervor und las beide.
Ja, es war immer dieselbe Geschichte. Alle, seine Mutter, sein Bruder, alle hielten sie es für nötig, sich in
seine Herzensangelegenheiten zu mischen. Diese Einmischung rief in ihm einen ordentlichen Ingrimm hervor, eine
Empfindung, die er nur selten hatte. ›Was geht es sie an? Warum hält es jeder für seine Pflicht, sich um mich
Sorgen zu machen? Warum drängen sie sich mir auf? Weil sie sehen, daß hier etwas vorgeht, was sie nicht begreifen
können. Handelte es sich um eine der gewöhnlichen faden Liebschaften, wie sie in der Gesellschaft gang und gäbe
sind, so würden sie mich in Ruhe lassen. Aber sie fühlen, daß dies denn doch von anderer Art ist, daß dies keine
Spielerei ist und daß diese Frau mir teuerer ist als mein Leben. Und dergleichen ist ihnen unverständlich, und
darum ärgern sie sich. Unser Schicksal, mag es jetzt sein, wie es will, und sich künftig gestalten, wie es will,
haben wir uns selbst geschaffen, und wir dürfen uns nicht darüber beklagen‹, sagte er zu sich, wobei er mit dem
Worte ›wir‹ sich und Anna zusammenfaßte. ›Aber nein, sie halten für nötig, uns zu belehren, wie wir leben sollen.
Sie haben nicht einmal einen Begriff davon, was Glück ist; sie wissen nicht, daß es ohne diese Liebe für uns kein
Glück und kein
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