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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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werde, um ein Ärgernis zu verhüten. Und dann wird er mit Ruhe und Peinlichkeit
    ausführen, was er angekündigt hat. So wird sich die Sache gestalten. Er ist eben kein Mensch, sondern eine
    Maschine, und eine boshafte Maschine, wenn er zornig wird«, fügte sie hinzu, indem sie sich in Gedanken Alexei
    Alexandrowitsch mit allen Einzelheiten seiner Gestalt und seiner Redeweise vergegenwärtigte und ihm alles, was sie
    an ihm nur irgend Unschönes finden könnte, als Schuld anrechnete und wegen des schweren Vergehens, das sie sich ihm
    gegenüber hatte zuschulden kommen lassen, ihm nichts verzieh.
    »Aber Anna«, meinte Wronski in dem Bemühen, sie zu beruhigen, mit weicher, überredender Stimme. »Es ist doch
    trotzdem notwendig, es ihm zu sagen; dann werden wir je nach seiner Handlungsweise die unserige einrichten.«
    »Was meinen Sie also? Soll ich fliehen?«
    »Warum nicht auch das? Ich sehe keine Möglichkeit, in diesem Zustande zu verharren. Und ich meine das nicht mit
    Rücksicht auf mich, – ich sehe, daß Sie leiden.«
    »Ja, ich soll fliehen und Ihre Geliebte werden«, sagte sie bitter.
    »Anna!« erwiderte er in zärtlich vorwurfsvollem Tone.
    »Ja«, fuhr sie fort, »Ihre Geliebte werden und alles zugrunde richten.«
    Wieder hatte sie sagen wollen: ›meinen Sohn‹, aber sie konnte dieses Wort nicht herausbringen.
    Wronski vermochte nicht zu begreifen, wie sie mit ihrer kraftvollen, ehrlichen Natur diesen Zustand steter
    Unwahrhaftigkeit ertragen und nicht den Wunsch hegen konnte, aus ihm herauszukommen; aber er erriet nicht, daß die
    Hauptursache ihres Verhaltens das Wort Sohn war, das sie sich nicht überwinden konnte, auszusprechen. Wenn sie an
    ihren Sohn dachte und an sein künftiges Verhältnis zu seiner Mutter, die seinem Vater davongegangen war, dann
    packte sie eine solche Angst vor diesem Schritte, daß sie nicht weiter überlegen konnte, sondern nach Frauenart
    sich nur mit unwahren Gedanken und Worten zu beruhigen suchte, damit nur ja alles beim alten bleibe und sie nicht
    an die entsetzliche Frage zu denken brauche, was aus ihrem Sohne werden solle.
    »Ich bitte dich, ich bitte dich flehentlich«, sagte sie in plötzlich ganz anderem, aufrichtigem, zärtlichem Tone
    und ergriff seine Hand, »rede nie wieder mit mir davon!«
    »Aber Anna ...«
    »Nie wieder. Überlaß das mir! Ich kenne in vollem Umfange das Unwürdige und Entsetzliche meiner Lage; aber da
    einen Ausweg zu finden, ist nicht so leicht, wie du denkst. Überlaß das mir und höre auf mich! Rede nie wieder mit
    mir davon! Versprichst du mir das? – Nein, nein, versprich es mir!«
    »Ich verspreche dir alles; aber ruhig kann ich nicht sein, besonders nach dem, was du mir gesagt hast. Ich kann
    nicht ruhig sein, wenn du nicht ruhig sein kannst.«
    »Ich?« erwiderte sie. »Ja, ich quäle mich manchmal; aber das wird vorübergehen, wenn du nie wieder mit mir davon
    reden wirst. Nur dann, wenn du mit mir davon redest, nur dann quält es mich.«
    »Das verstehe ich nicht«, antwortete er.
    »Ich weiß«, unterbrach sie ihn, »wie schwer es deiner ehrlichen Natur wird, zu lügen, und du tust mir leid
    deswegen. Ich denke oft, daß du dir um meinetwillen dein Leben zerstört hast.«
    »Genau dasselbe habe auch ich diesen Augenblick gedacht: Wie du nur hast um meinetwillen alles opfern können!«
    erwiderte er. »Ich kann es mir nicht verzeihen, daß du unglücklich bist.«
    »Ich wäre unglücklich?« versetzte sie, indem sie zu ihm hintrat und ihn mit einem entzückten Lächeln der Liebe
    anblickte. »Ich bin wie ein Hungriger, dem man zu essen gegeben hat. Vielleicht friert er noch, vielleicht sind
    seine Kleider zerrissen, und er schämt sich; aber unglücklich ist er nicht. Ich wäre unglücklich? Nein, hier ist
    mein Glück ...«
    In diesem Augenblick hörte sie die Stimme ihres Sohnes, der sich dem Hause näherte; sie schaute sich mit einem
    schnellen Blicke auf der Terrasse um und erhob sich hastig. In ihren Augen leuchtete das ihm wohlbekannte Feuer
    auf; mit einer schnellen Bewegung hob sie ihre schönen, mit Ringen geschmückten Hände in die Höhe, faßte seinen
    Kopf, schaute ihn mit einem langen Blicke an, näherte ihm ihr Gesicht mit den geöffneten, lächelnden Lippen, küßte
    ihn schnell auf den Mund und auf beide Augen und schob ihn dann von sich. Sie wollte fortgehen, aber er hielt sie
    zurück.
    »Wann?« fragte er flüsternd und blickte sie entzückt an.
    »Heute nacht um eins«, flüsterte sie, seufzte tief und

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