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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ging dann mit ihrem leichten, schnellen Schritt ihrem
    Sohne entgegen.
    Diesen hatte der Regen im Großen Garten überrascht, und er hatte mit der Kinderfrau längere Zeit in einer Laube
    gesessen.
    »Also auf Wiedersehen!« sagte sie zu Wronski. »Ich muß jetzt bald zum Rennen fahren. Betsy hat versprochen, mich
    abzuholen.«
    Wronski warf einen Blick auf die Uhr und brach eilig auf.

24
    Als Wronski auf der Terrasse des Kareninschen Landhauses nach der Uhr gesehen hatte, war er so aufgeregt und mit
    seinen Gedanken beschäftigt gewesen, daß er zwar die Zeiger auf dem Zifferblatte gesehen hatte, aber nicht zur
    Erkenntnis hatte kommen können, wieviel Uhr es war. Er ging auf die Landstraße hinaus und begab sich, vorsichtig
    durch den Schmutz schreitend, zu seinem Wagen. Er war von seinem Gefühl für Anna so erfüllt, daß er gar nicht daran
    dachte, wieviel Uhr es sei und ob er noch Zeit habe, zu Brjanski zu fahren. Es war ihm, wie das nicht selten
    vorkommt, nur eine äußere Erinnerungsfähigkeit geblieben, die ihm angab, in welcher Reihenfolge er sich vorgenommen
    hatte, die einzelnen Handlungen zu verrichten. Er trat zu seinem Kutscher, der auf dem Bocke in dem schon schräg
    fallenden Schatten einer dichten Linde eingeschlummert war, betrachtete einen Augenblick die schillernden
    Mückenschwärme, die über den schweißbedeckten Pferden umherschwirrten, weckte dann den Kutscher, sprang in den
    Wagen und befahl ihm, zu Brjanski zu fahren. Erst als er bereits sieben Werst zurückgelegt hatte, kam er wieder so
    weit zur Besinnung, daß er nach der Uhr sah und begriff, daß es halb sechs und somit schon sehr spät war.
    Es fanden an diesem Tage mehrere Rennen statt: ein Rennen der Leibwache, dann ein Offiziersrennen über zwei
    Werst, eines über vier Werst und das, bei dem er selbst mitritt. Zu seinem Rennen kam er, wenn er sogleich hinfuhr,
    völlig zur rechten Zeit; aber wenn er erst noch zu Brjanski fuhr, so kam er erst im allerletzten Augenblick hin und
    erst dann, wenn schon der ganze Hof da war. Das war übel. Aber er hatte Brjanski sein Wort gegeben, noch zu ihm zu
    kommen, und daher entschloß er sich, weiterzufahren, und befahl dem Kutscher, die Pferde scharf anzutreiben.
    Er kam bei Brjanski an, blieb fünf Minuten bei ihm und jagte zurück. Diese schnelle Fahrt beruhigte ihn. Alles
    Bedrückende, das in seinem Verhältnisse zu Anna lag, die ganze Ungewißheit, die nach ihrem Gespräche
    zurückgeblieben war, all das kam ihm jetzt aus dem Sinn und den Gedanken; mit heller Freude und lebhafter. Erregung
    dachte er nun an das Rennen und daran, daß er doch noch zur rechten Zeit kommen werde, und nur zuweilen flammte der
    Gedanke an die Wonne des für die heutige Nacht bevorstehenden Zusammenseins wie ein heller Lichtschein in seinem
    Inneren auf.
    Das Gefühl der Spannung wegen des bevorstehenden Rennens wurde bei ihm immer stärker und stärker, je mehr er in
    die Umgebung der Rennen hinein kam und einen Wagen nach dem anderen überholte, die von den Landhäusern und aus
    Petersburg zu den Rennen fuhren.
    In seinem Heim war niemand mehr zu Hause; alle waren sie schon auf der Rennbahn, und nur sein Diener wartete auf
    ihn am Torwege. Während er sich umkleidete, berichtete ihm der Diener, das zweite Rennen habe schon begonnen; es
    seien viele Herren gekommen, um sich nach ihm zu erkundigen, und der Stallbursche aus dem Rennstall sei schon
    zweimal dagewesen.
    Nachdem Wronski sich ohne Hast umgekleidet hatte (er überhastete sich niemals und verlor nie die
    Selbstbeherrschung), fuhr er nach den Baracken. Schon von den Baracken aus erblickte er das Meer von Wagen,
    Fußgängern und Soldaten, das die Rennbahn umgab, und die von Menschen wimmelnden Tribünen. Wahrscheinlich begann
    gerade das dritte Rennen, da er in dem Augenblicke, als er in die Baracke trat, ein Glockenzeichen hörte. Als er
    sich dem Stalle näherte, begegnete er Machotins weißfüßigem Fuchse Gladiator, der, eingehüllt in eine gelb und
    blaue Decke mit gewaltig groß aussehenden, blau eingefaßten Ohren, nach der Rennbahn geführt wurde.
    »Wo ist Cord?« fragte er den Stallburschen.
    »Im Stall. Er sattelt.«
    In der offenstehenden Box stand Frou-Frou schon gesattelt und sollte eben hinausgeführt werden.
    »Ich komme doch nicht zu spät?«
    »All right, all right!« antwortete der Engländer. »Seien Sie nur nicht aufgeregt.«
    Wronski umfaßte noch einmal mit einem Blicke die prächtigen Formen des ihm so lieben Pferdes, das am

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