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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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verlange, daß Sie sich so benehmen, daß weder
    die Welt noch die Dienerschaft Ihnen Übles nachsagen kann; ich verlange, daß Sie ihn nicht
    wiedersehen. Ich möchte meinen, das ist nicht zuviel verlangt. Und dafür werden Sie die Rechte einer ehrbaren Frau
    genießen, ohne ihre Pflichten zu erfüllen. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe. Jetzt muß ich wegfahren. Ich
    bin zum Mittagessen nicht hier.« Er stand auf und ging zur Tür hin.
    Anna erhob sich ebenfalls. Mit einer schweigenden Verbeugung ließ er sie an sich vorbei.

24
    Die Nacht, die Ljewin auf dem Heuhaufen zugebracht hatte, war für ihn nicht ohne wichtige Nachwirkungen
    geblieben: seine bisherige Art der Wirtschaftsführung war ihm zuwider geworden und hatte für ihn alles Interesse
    verloren. Trotz der vorzüglichen Ernte waren noch nie so viele Mißerfolge und so viele Mißhelligkeiten zwischen ihm
    und den Bauern vorgekommen wie in diesem Jahre, oder wenigstens schien es ihm so; und die Ursache dieser Mißerfolge
    und dieser Mißhelligkeiten war ihm jetzt völlig verständlich. Das Vergnügen, das er an der persönlichen Arbeit
    gefunden hatte; die daraus hervorgehende Annäherung an die Bauern; der Neid, den sie und ihre ganze Lebensweise ihm
    einflößten; der Wunsch, zu dieser Lebensweise überzugehen, ein Wunsch, der in jener Nacht für ihn nicht mehr eine
    bloße Phantasterei gewesen war, sondern die Form eines bestimmten Planes angenommen hatte, dessen Ausführung er
    schon im einzelnen überdachte: alles dies hatte seine Ansichten über den Wert des bei ihm eingeführten
    Wirtschaftsbetriebes derart geändert, daß er jetzt an dieser Art des Betriebes schlechterdings nicht mehr das
    frühere Interesse nehmen und für sein unerfreuliches Verhältnis zu den Arbeitern, das der Grund zu alle dem war,
    nicht blind sein konnte. Verbesserte Kuhherden von der Art wie Pawa; ein in seiner ganzen Ausdehnung verbessertes,
    mit modernen Pflügen bearbeitetes Ackerland; neun gleiche, mit Weidengebüsch eingefaßte Felder; neunzig Deßjatinen
    mit tief untergepflügtem Dünger; Reihensämaschinen und so weiter: alles das wäre wunderschön gewesen, wenn er es
    hätte entweder allein ausführen können oder in Kameradschaft mit gleichgesinnten Männern. Aber er sah jetzt klar
    (und seine Arbeit an dem Buche über die Landwirtschaft, in dem er als die wichtigste Grundlage der Landwirtschaft
    den Arbeiter ansehen wollte, hatte ihm wesentlich mit zu dieser Einsicht verholfen), er sah jetzt klar, daß sein
    jetziger Wirtschaftsbetrieb weiter nichts als ein grimmiger, hartnäckiger Kampf zwischen ihm und den Arbeitern war,
    bei dem auf der einen Seite, das heißt auf seiner Seite, das stete, angestrengte Streben stand, alles nach dem für
    das Beste erkannten Muster umzugestalten, und auf der anderen Seite die natürliche Ordnung der Dinge. Und er sah,
    daß bei diesem Kampfe, bei dem er seinerseits alle seine Kräfte auf das äußerste anspannte und auf der anderen
    Seite gar keine Anstrengung stattfand, ja überhaupt keine Absicht vorhanden war, er sah, daß bei diesem Kampfe das
    Ergebnis lediglich war, daß die Wirtschaft nichts abwarf und die prächtigen landwirtschaftlichen Geräte, das
    prächtige Vieh und Land völlig ohne Nutzen verdorben wurden. Und was die Hauptsache war: es ging nicht nur die von
    ihm auf dieses Werk verwandte Tatkraft ganz nutzlos verloren, sondern er konnte sich jetzt, wo er über seine
    Wirtschaft zu einem richtigen Urteile gelangt war, auch nicht der Einsicht verschließen, daß das Ziel seiner
    Tatkraft ganz unwürdig war. Denn in der Tat, worum drehte sich der Kampf? Er kämpfte um jeden Groschen, der ihm
    gehörte oder zukam (und das mußte er; denn hätte er in seiner Tatkraft nachgelassen, so hätte es ihm sofort an Geld
    gemangelt, um den Arbeitern den Lohn zu zahlen); die Arbeiter aber hatten bei diesem Kampfe nur das Ziel, ruhig und
    angenehm arbeiten zu dürfen, das heißt so, wie sie es gewohnt waren. In seinem Interesse lag es, daß jeder Arbeiter
    soviel wie möglich arbeitete, ferner, daß er es dabei nicht an Achtsamkeit fehlen ließ, daß er sich bemühte, die
    Worfelmaschine, den Pferderechen, die Dreschmaschine nicht zu zerbrechen, daß er seine Arbeit mit Überlegung
    verrichtete; der Arbeiter aber wollte gern möglichst angenehm arbeiten, mit Ruhepausen, und vor allen Dingen
    sorglos, achtlos, gedankenlos. Das hatte Ljewin in diesem Sommer auf Schritt und Tritt beobachten können. Er hatte
    Leute

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