Anna Karenina
hingeschickt, um Klee zu mähen, der zu Heu gemacht werden sollte, und hatte dazu einige schlechte Deßjatinen
ausgesucht, die mit Gras und Wermut durchwachsen und zu Saatklee nicht zu gebrauchen waren – und sie mähten ihm der
Reihe nach die besten Deßjatinen mit Saatklee ab, rechtfertigten sich damit, der Verwalter habe es so befohlen, und
sagten, um ihn zu trösten, dieses Kleeheu würde aber auch ganz vorzüglich werden; aber er wußte, daß sie es nur
getan hatten, weil diese Deßjatinen sich leichter mähen ließen. Er schickte eine Heuwendemaschine auf die Wiese, um
das Heu umzuschütteln; sie zerbrachen sie ihm gleich bei den ersten Schwaden, weil es dem Bauer unbehaglich war,
auf dem Bock zu sitzen, wenn sich die Flügel über ihm herumschwenkten. Ihm aber sagten sie: »Seien Sie nur ganz
ohne Sorge; die Weiber werden das Heu schon flink umschütteln.« Die modernen Pflüge erwiesen sich als unbenutzbar,
weil es dem Arbeiter nicht einfiel, das in die Höhe gehobene Pflugmesser wieder herunterzulassen, und er durch
gewaltsames Umwenden des Bodens die Pferde quälte und den Acker verdarb. Und wieder bat man Ljewin, ganz unbesorgt
zu sein. Sie ließen die Pferde in die Weizenfelder gehen, weil kein Arbeiter die ganze Nachtwache übernehmen wollte
und sie sich trotz des Verbotes, dies zu tun, in die Nachtwache teilten; da war nun Iwan, der den ganzen Tag über
gearbeitet hatte, eingeschlafen und gestand seine Sünde, indem er hinzufügte: »Ganz wie Sie befehlen.« Die drei
besten Kälber wurden von den Leuten durch falsche Fütterung zugrunde gerichtet, indem sie sie, ohne sie zu tränken,
in das Kleegrummet hineinließen, und sie wollten ganz und gar nicht glauben, daß das der Klee war, der die Tiere so
auf trieb, sondern erzählten ihm zum Troste, beim Nachbar seien in drei Tagen hundertzwölf Stück Vieh gefallen. All
das geschah nicht etwa, weil jemand Ljewin oder seiner Wirtschaft Böses gewünscht hätte; im Gegenteil, er wußte,
daß ihn die Leute gern hatten und ihn für einen einfachen Herrn hielten (was das höchste Lob ist); sondern es
geschah nur deshalb, weil sie vergnügt und sorglos arbeiten wollten und seine Interessen ihnen nicht nur fremd und
unverständlich waren, sondern auch zu ihren wohlberechtigten Interessen in einem verhängnisvollen Gegensatze
standen. Schon seit längerer Zeit hatte sich Ljewin von seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit nicht recht
befriedigt gefühlt. Er hatte gemerkt, daß sein Kahn leck war; aber er hatte das Leck nicht gefunden, auch
vielleicht in absichtlicher Selbsttäuschung gar nicht danach gesucht (es wäre ihm gar nichts mehr an Lebensfreude
übriggeblieben, wenn er nun auch mit seiner Wirtschaft eine Täuschung erlebt hätte). Aber jetzt konnte er sich
nicht länger täuschen. Seine jetzige Art des Wirtschaftsbetriebes war ihm nicht nur uninteressant, sondern geradezu
widerwärtig geworden, und er konnte es nicht über sich gewinnen, sich noch länger damit zu beschäftigen.
Dazu kam noch der Umstand, daß Kitty Schtscherbazkaja, die er so gern gesehen hätte und doch, nach seiner
Empfindung, nicht sehen durfte, sich nur dreißig Werst von ihm entfernt befand. Darja Alexandrowna Oblonskaja hatte
ihn, als er bei ihr war, eingeladen wiederzukommen: wiederzukommen, um ihrer Schwester noch einmal einen Antrag zu
machen, den diese, wie Darja merken ließ, jetzt annehmen werde; und Ljewin selbst hatte, als er Kitty
Schtscherbazkaja erblickte, gefühlt, daß er sie noch immer liebte. Aber er konnte nicht zu Oblonskis hinfahren, nun
er wußte, daß sie da war. Er hatte ihr einen Antrag gemacht und sie hatte ihn abgelehnt; dadurch war zwischen ihm
und ihr eine unübersteigliche Mauer errichtet. ›Ich kann sie nicht bitten, mein Weib lediglich deshalb zu werden,
weil sie nicht hat das Weib dessen werden können, den sie haben wollte‹, sagte er zu sich selbst. Der Gedanke daran
versetzte ihn in eine kalte, feindselige Stimmung gegen sie. ›Ich werde nicht imstande sein, mit ihr zu reden, ohne
ihr im stillen einen Vorwurf zu machen, werde sie nicht ansehen können, ohne ihr zu grollen, und sie wird mich nur
um so mehr hassen, wie das ja auch ganz natürlich ist. Und ferner, wie kann ich jetzt, nach dem, was mir Darja
Alexandrowna gesagt hat, zu ihnen hinfahren? Kann ich denn tun, als wüßte ich das, was sie mir gesagt hat, gar
nicht? Und ich soll zu einem Großmutsakte hinkommen – um ihr zu verzeihen, sie zu Gnaden
Weitere Kostenlose Bücher