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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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gespannten Pferde sahen wohlgenährt und kräftig aus. Von den Arbeitern gehörten zwei
    offenbar zur Familie; sie waren noch jung und trugen baumwollene Hemden und Schirmmützen. Die beiden andern waren
    für Lohn angenommen, der eine ein älterer Mann, der andere ein junger Bursche; sie hatten Hemden von Hanfleinwand
    an.
    Der alte Bauer ging von der Freitreppe weg, trat zu den Pferden und machte sich daran, sie auszuspannen.
    »Was habt ihr denn gepflügt?« fragte Ljewin.
    »Die Kartoffeln haben wir gehäufelt. Wir haben auch so ein bißchen Land. Du, Fjodor, den Wallach nimm nicht
    wieder mit, sondern stelle ihn an die Stehkrippe; wir wollen ein anderes Pferd anspannen.«
    »Du, Vater, ich habe gesagt, sie sollen sich Pflugeisen borgen; hat er welche gebracht?« fragte ein
    hochgewachsener, gesunder Bursche, offenbar ein Sohn des Alten.
    »Da ... im Schlitten sind sie«, antwortete der Alte, wickelte die abgenommenen Zügel zusammen und warf sie auf
    die Erde. »Bring sie während des Mittagessens in Ordnung!«
    Die hübsche junge Frau ging mit den gefüllten Eimern, die ihr die Schultern hinunterzogen, in den Hausflur. Von
    allen Seiten erschienen noch mehr Frauen, hübsche junge und solche von mittlerem Alter, und alte häßliche, manche
    mit Kindern, andere ohne Kinder.
    Der Samowar begann zu summen. Die Arbeitsleute und die Familienmitglieder gingen, nachdem sie mit den Pferden
    fertig geworden waren, ins Haus zum Mittagessen. Ljewin holte seinen Mundvorrat aus dem Wagen und lud den Alten
    ein, mit ihm zusammen Tee zu trinken.
    »Aber wir haben ja heute schon Tee getrunken«, versetzte der Alte, nahm jedoch die Einladung offenbar mit
    Vergnügen an. »Nun, so zur Gesellschaft!«
    Während des Teetrinkens erfuhr Ljewin die ganze bisherige Geschichte der Wirtschaft des Alten. Dieser hatte vor
    zehn Jahren von der Gutsbesitzerin hundertzwanzig Deßjatinen gepachtet; im vorigen Jahre hatte er sie käuflich
    erworben und von einem benachbarten Gutsbesitzer noch dreihundert Deßjatinen dazugepachtet. Einen kleinen Teil des
    Landes, den schlechtesten, hatte er in einzelnen Parzellen weiterverpachtet, und vierzig Deßjatinen bestellte er
    selbst mit seiner Familie und zwei Arbeitsleuten als Ackerland. Der Alte klagte, die Wirtschaft ginge nur schlecht.
    Aber Ljewin sah klar, daß er nur so um des Anstands willen klagte und seine Wirtschaft in Wirklichkeit sehr gut im
    Gange war. Wäre sie schlecht gegangen, so wäre er nicht imstande gewesen, Land zu hundertfünf Rubeln die Deßjatine
    zu kaufen und drei Söhne und einen Neffen zu verheiraten und zweimal nach Bränden wieder neu zu bauen und jedesmal
    besser, als es vorher gewesen war. Trotz der Klagen des Alten war es deutlich, daß er mit gutem Grunde stolz war
    auf seinen Wohlstand, stolz auf seine Söhne, seinen Neffen, seine Schwiegertöchter, seine Pferde und Kühe und ganz
    besonders darauf, daß seine ganze Wirtschaft so wohl und sicher begründet war. Aus dem Gespräch mit dem Alten
    konnte Ljewin entnehmen, daß dieser kein Feind von Neuerungen war. Er baute viel Kartoffeln, und seine Kartoffeln
    blühten, wie Ljewin auf der Fahrt gesehen hatte, schon ab und setzten an, während Ljewins eigene erst im Aufblühen
    waren. Er häufelte seine Kartoffeln mit Pflugeisen, die er sich vom Gutsbesitzer lieh. Er säte Weizen. Eine
    geringfügige Einzelheit machte auf Ljewin besonderen Eindruck: daß der Alte, wenn er den Roggen ausjäten ließ, mit
    dem ausgejäteten Roggen die Pferde fütterte. Wie oft schon hatte Ljewin, wenn er sah, wie dieses schöne Futter
    nutzlos umkam, es einsammeln lassen wollen; aber es war immer ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Bei diesem Bauern
    aber ließ sich das durchführen, und er konnte dieses Futter gar nicht genug rühmen.
    »Was haben denn die Weiber sonst zu tun? Sie tragen die Häufchen an den Weg, und der Wagen sammelt sie ein und
    bringt sie nach Hause.«
    »Ja, aber siehst du, wir Gutsbesitzer haben mit den Arbeitsleuten immer unsere liebe Not«, sagte Ljewin und
    reichte ihm ein Glas Tee hin.
    »Danke sehr«, sagte der Alte und nahm das Glas; aber den angebotenen Zucker lehnte er ab, indem er auf den noch
    übrigen Rest des Stückes hinwies, von dem er bis jetzt abgebissen hatte. »Wie kann man überhaupt mit Arbeitsleuten
    wirtschaften?« sagte er. »Dabei geht man zugrunde. Sehen Sie zum Beispiel Swijaschski an! Wir wissen, welch
    vorzügliches Land er hat, die reine Pracht; aber seine Ernte lobt er trotzdem nicht

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