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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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sonderlich. Die Aufsicht bleibt
    doch immer mangelhaft.«
    »Aber du wirtschaftest doch auch selbst mit Arbeitsleuten?«
    »Wir sind gewohnt, Bauernarbeit zu verrichten, und sind überall selbst mit dabei. Ist ein Arbeiter schlecht,
    dann muß er weg; nötigenfalls schaffe ich es auch mit den Leuten aus meiner Familie.«
    »Vater, Finogen möchte Teer haben«, berichtete, ins Zimmer tretend, die Frau mit den Gummischuhen.
    »Ja, so ist das, gnädiger Herr!« sagte der Alte, stand auf, bekreuzte sich umständlich, bedankte sich bei Ljewin
    und ging hinaus.
    Als Ljewin in die gewöhnliche Wohnstube trat, um seinen Kutscher herauszurufen, erblickte er die sämtlichen
    männlichen Mitglieder der Familie am Tische. Die Frauen standen und warteten ihnen auf. Der eine junge, kerngesunde
    Haussohn erzählte gerade, den Mund voll Grütze, etwas Komisches, und alle lachten, besonders lustig die Frau mit
    den Gummischuhen, die Kohlsuppe in einen Napf goß.
    Sehr möglich, daß das hübsche Gesicht dieser jungen Frau mit den Gummischuhen viel zu dem Eindruck guter Ordnung
    beitrug, den dieses Bauernhaus auf Ljewin machte; jedenfalls war dieser Eindruck so stark, daß er sich bei Ljewin
    niemals wieder verlor. Und während der ganzen Fahrt von dem Alten zu Swijaschski mußte er immer wieder an diese
    Wirtschaft denken, als ob etwas daran seiner ganz besonderen Beachtung würdig sei.

26
    Swijaschski war Adelsmarschall in seinem Kreise. Er war fünf Jahre älter als Ljewin und schon lange verheiratet.
    Bei ihm im Hause wohnte auch seine junge unverheiratete Schwägerin, die Ljewin sehr sympathisch war. Und er wußte,
    daß Swijaschski und seine Frau den lebhaften Wunsch hegten, aus ihm und diesem jungen Mädchen ein Paar zu machen.
    Er wußte das unzweifelhaft, wie das junge Männer, sogenannte Heiratskandidaten, immer wissen, wiewohl er nie mit
    jemandem darüber hätte sprechen mögen; aber er wußte auch, daß, obwohl er gern heiraten wollte, und obwohl, nach
    allen Anhaltspunkten zu urteilen, dieses anziehende junge Mädchen eine vortreffliche Gattin zu werden versprach, er
    ebensowenig sie heiraten konnte wie in den Himmel fliegen, selbst wenn er nicht in Kitty Schtscherbazkaja verliebt
    gewesen wäre. Und dieses Bewußtsein war eine unangenehme Beigabe zu dem Vergnügen, das er sich von der Fahrt zu
    Swijaschski erhoffte.
    Als Ljewin Swijaschskis Brief mit der Einladung zur Jagd erhalten hatte, war ihm dies alles sofort in den Sinn
    gekommen; aber er hatte sich trotzdem gesagt, eigentlich sei es doch nur eine ganz grundlose Annahme von ihm, wenn
    er bei Swijaschski solche Absichten auf seine Person voraussetze; er könne also ruhig hinfahren. Außerdem stak bei
    ihm noch in einem verborgenen Winkel seiner Seele der Wunsch, mit sich selbst noch einmal eine Probe vorzunehmen,
    sich und dieses junge Mädchen noch einmal vergleichend miteinander zusammenzuhalten. Das häusliche Leben bei
    Swijaschski war höchst angenehm, und Swijaschski selbst war als der beste Typus eines eifrigen Mitgliedes der
    ländlichen Selbstverwaltung, den Ljewin je gekannt hatte, für ihn immer eine außerordentlich interessante
    Persönlichkeit gewesen.
    Swijaschski gehörte zu einer Menschenklasse, über die sich Ljewin immer sehr wunderte, nämlich zu den Menschen,
    bei denen das sehr logische, wiewohl niemals selbständige Denken seinen Gang für sich hat und das recht bestimmte,
    in seiner Richtung feste Handeln auch seinen Gang für sich hat, und zwar ganz unabhängig vom Denken und fast immer
    im Widerspruche mit ihm. Swijaschski war in seinen Ansichten außerordentlich fortschrittlich. Er verachtete den
    Adel und war überzeugt, daß die meisten Adligen geheime Anhänger der Leibeigenschaft seien und nur aus
    Zaghaftigkeit es nicht eingestehen wollten. Er hielt Rußland für ein dem Untergange verfallenes Land, ähnlich wie
    die Türkei, und die Regierung Rußlands für so schlecht, daß er sich niemals darauf einließ, ihre Handlungen
    überhaupt auch nur ernsthaft zu kritisieren. Aber zugleich versah er ein Amt und war ein musterhafter
    Adelsmarschall und trug auf Reisen immer die Dienstmütze mit der Kokarde und dem roten Randstreifen. Er war der
    Meinung, ein menschenwürdiges Leben sei nur im Auslande möglich, wohin er denn auch, sooft es ihm nur möglich war,
    zu längerem Aufenthalte reiste; aber dabei leitete er in Rußland einen sehr verwickelten, vervollkommneten
    landwirtschaftlichen Betrieb, verfolgte alles mit außerordentlichem

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