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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ganzen Tag umher und brachte nur drei Stück nach Hause;
    dafür aber brachte er, wie immer von der Jagd, einen ausgezeichneten Appetit mit sowie eine vortreffliche Stimmung
    und jenen angeregten Geisteszustand, der sich bei ihm stets als Folge starker körperlicher Bewegung einstellte.
    Auch auf der Jagd, in Augenblicken, da er anscheinend an gar nichts dachte, war ihm immer wieder jener alte Bauer
    mit seiner Familie eingefallen, und dieses ihm vorschwebende Bild hatte nicht nur seine Aufmerksamkeit in Anspruch
    genommen, sondern ihm auch gewissermaßen die Lösung einer damit im Zusammenhang stehenden Frage nahegelegt.
    Am Abend waren beim Teetrinken noch zwei andere Gutsbesitzer zugegen, die zur Besprechung irgendwelcher
    Vormundschaftssachen gekommen waren, und es kam nun eben jenes interessante Gespräch in Gang, das Ljewin erwartet
    hatte.
    Ljewin saß am Teetisch neben der Hausfrau und mußte sich mit ihr und mit der Schwägerin, die ihm gegenübersaß,
    unterhalten. Die Hausfrau war von kleiner Statur, blond, mit einem runden Gesichte, das fortwährend von einem
    lustigen Lächeln über und über aufstrahlte und seine hübschen Grübchen zeigte. Ljewin gab sich Mühe, durch sie zur
    Lösung des ihn so sehr interessierenden Rätsels zu gelangen, das ihr Mann für ihn bildete; aber er hatte nicht die
    volle Freiheit des Denkens, weil er eine peinliche Verlegenheit empfand. Diese rührte daher, daß die ihm
    gegenübersitzende Schwägerin ein eigenartiges Kleid trug, das sie, wie es ihm schien, besonders für ihn angezogen
    hatte, mit einem eigenartigen trapezförmigen Ausschnitt auf der weißen Brust; obgleich diese Brust sehr weiß war
    oder gerade weil sie sehr weiß war, sah sich Ljewin durch diesen viereckigen Ausschnitt der Freiheit des Denkens
    beraubt. Er hatte die wahrscheinlich irrtümliche Vorstellung, daß dieser Ausschnitt mit Rücksicht auf ihn gemacht
    sei, und hielt sich nicht für berechtigt, danach hinzusehen, und bemühte sich, es zu vermeiden; aber er hatte die
    Empfindung, als treffe ihn schon deswegen eine Schuld, weil der Ausschnitt überhaupt gemacht war. Es kam ihm vor,
    als betrüge er jemanden, als müsse er etwas zu seiner Rechtfertigung sagen, aber als sei dies doch schlechterdings
    nicht tunlich; und deswegen errötete er fortwährend und war unruhig und verlegen. Seine Verlegenheit teilte sich
    auch der hübschen Schwägerin mit. Aber die Hausfrau schien dies nicht zu bemerken und zog diese geflissentlich ins
    Gespräch.
    »Sie sagen«, fuhr die Hausfrau in dem begonnenen Gespräche fort, »daß meinen Mann nichts Russisches
    interessiere. Aber das Gegenteil ist richtig; er ist ja im Auslande meist sehr vergnügt, aber doch nie so wie hier.
    Hier fühlt er sich in seinem Fahrwasser. Er hat soviel zu tun, und er besitzt die Gabe, sich für alles zu
    interessieren. In unserer Schule sind Sie wohl noch nicht gewesen?«
    »Ich habe sie von außen gesehen ... Nicht wahr, das mit Efeu bewachsene Häuschen?«
    »Ja, die Schule ist Nastjas Domäne«, sagte sie, auf ihre Schwester weisend.
    »Unterrichten Sie selbst?« fragte Ljewin und gab sich dabei Mühe, an dem Ausschnitt vorbeizusehen; aber er
    merkte, daß, er mochte in jener Richtung blicken, wohin er wollte, er immer den Ausschnitt sehen werde.
    »Ja, ich habe selbst unterrichtet und unterrichte auch jetzt noch; aber wir haben auch eine ausgezeichnete
    Lehrerin. Auch Turnunterricht haben wir eingeführt.«
    »Nein, danke schön, ich möchte keinen Tee mehr«, sagte Ljewin und stand errötend auf; er fühlte zwar, daß er
    damit eine Unhöflichkeit beging, war aber nicht imstande, dieses Gespräch weiter fortzusetzen. »Ich höre da ein
    sehr interessantes Gespräch«, fügte er hinzu und ging nach dem andern Ende des Tisches hin, wo der Hausherr mit den
    beiden Gutsbesitzern saß. Swijaschski wandte dem Tische die eine Seite seines Körpers zu; den einen Ellbogen hatte
    er auf den Tisch gelegt und drehte mit der Hand dieses Armes seine Tasse immer herum; mit der andern Hand faßte er
    seinen Bart zusammen, hob ihn zur Nase in die Höhe und ließ ihn wieder los, gerade wie wenn er daran röche. Mit
    seinen blitzenden, schwarzen Augen sah er dem sprechenden und sich dabei ereifernden Gutsbesitzer, einem Manne mit
    grauem Schnurrbarte, gerade ins Gesicht und ergötzte sich augenscheinlich an dessen Reden. Der Gutsbesitzer schalt
    über das Landvolk. Ljewin sah deutlich, daß Swijaschski auf die Klagen des Gutsbesitzers eine Antwort

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