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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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aufeinander.«
    »Und er hat dich so gegrüßt?«
    Sie zog das Gesicht in die Länge, änderte, indem sie die Augen halb zudrückte, schnell ihre ganze Miene, legte
    die Hände zusammen, und Wronski er blickte auf ihrem schönen Antlitz plötzlich genau denselben Ausdruck, mit dem
    Alexei Alexandrowitsch ihn gegrüßt hatte. Er lächelte, und sie lachte fröhlich auf mit jenem hübschen, aus voller
    Brust kommenden Lachen, das einen ihrer Hauptreize bildete.
    »Ich habe für sein Verhalten schlechterdings kein Verständnis«, sagte Wronski. »Wenn er nach dem, was du ihm im
    Landhause mitgeteilt hast, mit dir gebrochen hätte, wenn er mich zum Duell gefordert hätte ... Aber das begreife
    ich nicht: wie kann er eine solche Lage ertragen? Daß er darunter leidet, ist ja deutlich.«
    »Der?« erwiderte sie höhnisch. »Der ist vollständig zufrieden.«
    »Weshalb müssen wir alle eine solche Pein ausstehen, während doch alles so gut sein könnte?«
    »Er ist der einzige von uns, der nicht leidet. Ich kenne ihn ja, ich kenne die Unwahrhaftigkeit, mit der sein
    ganzes Wesen durchtränkt ist. Ist es denn möglich, daß jemand, der auch nur eine Spur von Gefühl besitzt, so lebt,
    wie er mit mir lebt? Er begreift nichts, er fühlt nichts. Ist es denn möglich, daß ein Mensch, wenn er nicht aller
    Empfindung bar ist, mit seinem verbrecherischen Weibe unter einem Dache lebt, mit ihr spricht, du zu ihr sagt?«
    Und wieder kam sie unwillkürlich darauf, ihm nachzumachen: »Du, ma chère, du, Anna!«
    »Das ist kein Mann, kein Mensch, das ist eine Puppe. Das weiß sonst niemand; aber ich weiß es. Oh, wenn ich an
    seiner Stelle wäre, ich hätte längst so eine Frau, wie ich eine bin, getötet, in Stücke zerrissen und würde nicht
    zu ihr sagen: ›Du, ma chère, Anna!‹ Das ist kein Mensch, das ist eine dem Ministerium gehörige Maschine. Er
    begreift nicht, daß ich dein Weib bin, daß er ein Fremder, eine überflüssige Person ist ... Wir wollen nicht mehr
    von ihm sprechen, nein, nein!«
    »Du bist ungerecht, sehr ungerecht, Liebste!« erwiderte Wronski, bemüht, sie zu beruhigen. »Aber ganz gleich,
    wir wollen nicht weiter von ihm reden. Erzähle mir lieber, was du inzwischen getan hast. Wie geht es dir? Was ist
    das für eine Krankheit, von der du mir schriebst, und was hat der Arzt gesagt?«
    Sie sah ihn mit spöttischer Freude an. Offenbar waren ihr noch andere komische und häßliche Züge ihres Mannes
    eingefallen, und sie wartete auf einen geeigneten Zeitpunkt, um sie vorzubringen.
    Aber er fuhr fort:
    »Ich denke mir, daß du keine eigentliche Krankheit, sondern deinen Zustand gemeint hast. Wann wird es denn
    soweit sein?«
    Der spöttische Glanz erlosch in ihren Augen; aber ein anderes Lächeln, ein stilles, trauriges Lächeln, wie wenn
    sie etwas wüßte, wovon er nichts ahnte, trat an die Stelle jenes früheren Ausdrucks.
    »Bald, sehr bald. Du sagst, daß unsere Lage qualvoll sei und ihr ein Ende gemacht werden müsse. Wenn du wüßtest,
    wie drückend sie für mich ist! Alles würde ich dafür hingeben, wenn ich dich frei und, ohne die Augen
    niederzuschlagen, lieben dürfte. Ich würde mich und dich nicht mit meiner Eifersucht quälen ... Und das wird bald
    eintreten, aber nicht so, wie wir es uns denken.«
    Bei dem Gedanken daran, wie das alles kommen werde, erschien sie sich selbst so bemitleidenswert, daß ihr die
    Tränen in die Augen traten und sie nicht weiterzureden vermochte. Sie legte ihre Hand, an der im Lampenlichte die
    weiße Haut schimmerte und die Ringe blitzten, auf seinen Arm.
    »Es wird nicht so werden, wie wir es uns denken. Ich hatte es dir nicht sagen wollen; aber du zwingst mich dazu.
    Bald, sehr bald wird das alles ein Ende finden, und wir alle, alle werden zur Ruhe kommen und uns nicht länger
    quälen.«
    »Ich verstehe dich nicht«, antwortete er, obgleich er sie verstand.
    »Du fragtest, wann? Bald. Ich werde es nicht überleben. Unterbrich mich nicht!« Sie fing an, hastig zu sprechen.
    »Ich weiß das, und ich weiß es bestimmt. Ich werde sterben, und ich bin sehr froh darüber, daß ich sterben und mich
    und euch erlösen werde.«
    Die Tränen strömten ihr aus den Augen; er beugte sich über ihre Hand, bedeckte sie mit Küssen und versuchte,
    seine Aufregung zu verbergen, die, wie er wußte, keinen tatsächlichen Grund hatte, deren er aber doch nicht Herr
    werden konnte.
    »So wird es kommen, so ist es das beste«, sagte sie und drückte ihm kräftig die Hand. »Das ist das

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