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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Inte resse für ihn und für seine Frau
    an den Tag legten. Er hatte bei all diesen Bekannten eine nur mühsam verhehlte Freude über irgend etwas bemerkt,
    ebendieselbe Freude, die er in den Augen des Rechtsanwaltes wahrgenommen hatte und jetzt in den Augen des Lakaien
    sah. Alle schienen so vergnügt zu sein, wie wenn sie an einer Hochzeitsfeier teilnähmen. Sobald die Leute ihn
    sahen, erkundigten sie sich mit kaum unterdrückter Freude nach Annas Befinden.
    Durch die Anwesenheit der Fürstin Twerskaja fühlte Alexei Alexandrowitsch sich unangenehm berührt, sowohl wegen
    der Erinnerungen, die sich für ihn an ihre Person knüpften, wie auch weil er sie überhaupt nicht leiden konnte;
    daher begab er sich geradeswegs nach den Zimmern der Kinder. Im ersten Kinderzimmer kniete Sergei auf einem Stuhle,
    hatte sich mit der Brust über den Tisch gelegt und zeichnete etwas, wobei er vergnügt redete. Die Engländerin, die
    während Annas Krankheit an die Stelle der Französin getreten war, saß mit einer zierlichen Häkelei neben dem
    Knaben; sie stand eilig auf, knickste und zupfte Sergei, daß er seinen Vater begrüßen sollte.
    Alexei Alexandrowitsch strich seinem Sohne freundlich mit der Hand über das Haar, beantwortete die Frage der
    Gouvernante nach dem Befinden seiner Frau und erkundigte sich dann, was der Arzt über das Baby gesagt habe.
    »Der Doktor hat gesagt, es sei nichts Gefährliches, und hat Wannenbäder verordnet, gnädiger Herr.«
    »Aber sie hat doch immer Schmerzen«, erwiderte Alexei Alexandrowitsch, indem er nach dem Schreien des Kindes im
    Nachbarzimmer hinhorchte.
    »Ich glaube, die Amme taugt nichts, gnädiger Herr«, erklärte die Engländerin in entschiedenem Tone.
    »Warum glauben Sie das?« fragte er, stehen bleibend.
    »Bei der Gräfin Pohl war es genau ebenso, gnädiger Herr. Es wurde an dem Kinde herumgedoktert, und schließlich
    stellte sich heraus, daß es einfach hungerte: die Amme hatte nicht genug Nahrung, gnädiger Herr.«
    Alexei Alexandrowitsch wurde nachdenklich; er blieb noch ein paar Sekunden lang stehen und ging dann durch die
    andere Tür in das zweite Zimmer. Die Kleine lag mit zurückgeworfenem Köpfchen, sich krümmend, in den Armen der Amme
    und wollte weder die ihr angebotene üppige Brust annehmen noch zu schreien aufhören, obgleich sowohl die Amme wie
    auch die Kinderfrau, die sich gleichfalls über sie beugte, sie durch Zischen zu beruhigen suchten.
    »Immer noch nicht besser?« fragte Alexei Alexandrowitsch.
    »Sie ist sehr unruhig«, antwortete die Kinderfrau flüsternd.
    »Miß Edward meint, die Amme habe vielleicht nicht genug Nahrung«, sagte er.
    »Das glaube ich auch, Alexei Alexandrowitsch.«
    »Aber warum sagen Sie es denn dann nicht?«
    »Wem soll ich es denn sagen? Anna Arkadjewna ist doch immer noch krank«, erwiderte die Kinderfrau in
    mißvergnügtem Tone.
    Die Kinderfrau war eine alte Dienerin des Hauses. Auch in ihren so natürlich klingenden Worten meinte Alexei
    Alexandrowitsch eine Anspielung auf seine Lage zu finden.
    Das Kind schrie noch lauter; es wurde heiser, und die Stimme blieb zeitweilig ganz weg. Die Kinderfrau machte
    eine Handbewegung, als sei sie dagegen ratlos, trat zu der Kleinen hin, nahm sie der Amme aus den Armen und begann,
    auf und ab gehend, sie hin und her zu wiegen.
    »Wir müssen den Arzt bitten, die Amme zu untersuchen«, sagte Alexei Alexandrowitsch.
    Die gesund aussehende, schön geputzte Amme bekam einen Schreck, daß man sie womöglich entlassen werde; sie
    murmelte etwas vor sich hin, verhüllte ihre große Brust wieder und lächelte verächtlich über einen solchen Zweifel
    an ihrer Nahrungsfülle. Auch in diesem Lächeln fand Alexei Alexandrowitsch wieder einen Spott über seine Lage.
    »Du armes Würmchen!« sagte die Kinderfrau, während sie immer noch umherging und zur Beruhigung zischte.
    Alexei Alexandrowitsch setzte sich auf einen Stuhl und verfolgte mit schmerzlicher, trüber Miene die auf und ab
    gehende Kinderfrau.
    Als das Kind endlich still geworden war, die Kinderfrau es in sein tiefes Bettchen gelegt, das Kissen
    zurechtgemacht hatte und zurückgetreten war, da stand Alexei Alexandrowitsch auf und ging, mühsam nur mit den
    Fußspitzen auftretend, zu dem Kinde hin. Etwa eine Minute betrachtete er es schweigend und mit demselben trüben
    Gesichtsausdrucke; aber plötzlich trat ein Lächeln, bei dem sich sein Kopfhaar und die Stirnhaut verschob, auf sein
    Gesicht, und er verließ ebenso leise das

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