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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ihn uns noch einmal ansehen«, sagte Wronski,
    zu Anna gewendet.
    »Sehr gern; ich will gleich gehen und mir den Hut aufsetzen. Ist es sehr heiß draußen?« sagte sie, indem sie an
    der Tür stehenblieb und Wronski fragend anblickte. Und wieder überzog eine dunkle Röte ihr Gesicht.
    Wronski merkte an ihrem Blick, daß sie nicht recht wußte, auf welchem Fuß er mit Golenischtschew zu verkehren
    beabsichtigte, und daß sie daher im Zweifel war, ob sie sich auch so benommen habe, wie es seinen Wünschen
    entspräche.
    Er sah sie mit einem langen, zärtlichen Blicke an.
    »Nein, es ist nicht besonders heiß«, antwortete er.
    Sie glaubte die Bedeutung dieses Blickes zu verstehen, namentlich auch, daß er mit ihr zufrieden sei; ihm
    zulächelnd, ging sie raschen Schrittes zur Tür hinaus.
    Die Freunde blickten einander an, und auf den Gesichtern beider malte sich eine gewisse Verlegenheit, wie wenn
    Golenischtschew, auf den sie offenbar einen vorzüglichen Eindruck gemacht hatte, etwas über sie sagen wollte und
    nichts Passendes fand, Wronski aber eine Äußerung von dem anderen wünschte und zugleich fürchtete.
    »Nun sieh einmal an«, begann Wronski, um irgendein Gespräch in Gang zu bringen. »Also du hast dich hier
    niedergelassen? Und du beschäftigst dich immer noch mit demselben Gegenstand?« fuhr er fort, da er sich erinnerte,
    daß ihm jemand gesagt hatte, Golenischtschew schreibe etwas.
    »Ja, ich schreibe an dem zweiten Teil meiner ›Zwei Prinzipien‹«, erwiderte Golenischtschew, der bei dieser Frage
    vor Vergnügen ganz rot wurde, »das heißt, genau gesagt, ich schreibe noch nicht, sondern mache Vorarbeiten, sammle
    Stoff. Dieser Teil wird weit umfangreicher werden und fast alle Fragen dieses Gebietes behandeln. Bei uns in
    Rußland will man nicht begreifen, daß wir die Erben von Byzanz sind«, begann er in erregtem Ton eine längere
    Darlegung.
    Wronski fühlte sich anfangs etwas unbehaglich, weil er den ersten Teil der »Zwei Prinzipien« nicht gelesen
    hatte, von dem der Verfasser mit ihm wie von etwas Bekanntem sprach. Aber als dann Golenischtschew seine Ideen
    auseinanderzusetzen begann und Wronski ihnen zu folgen vermochte, da hörte er, auch ohne die »Zwei Prinzipien« zu
    kennen, mit Teilnahme zu, zumal Golenischtschew wirklich gut sprach. Aber mit Erstaunen und Bedauern erfüllte ihn
    die gereizte, erregte Stimmung, in die Golenischtschew geriet, während er über den Gegenstand, der ihn
    beschäftigte, diese Mitteilungen machte. Je länger er sprach, um so mehr glühten seine Augen, um so eifriger
    entgegnete er seinen angenommenen Gegnern und um so unruhiger und erbitterter wurde sein Gesichtsausdruck. Wronski
    hatte noch recht wohl in der Erinnerung, was für ein schmächtiger, lebhafter, gutmütiger, vornehm denkender Knabe
    Golenischtschew gewesen war, wie er im Pagenkorps immer den ersten Platz in seiner Abteilung innegehabt hatte, und
    er konnte den Grund dieser Gereiztheit nicht verstehen und hielt sie für einen Fehler. Besonders mißfiel es ihm,
    daß Golenischtschew, ein Mann von gutem Stande, sich mit irgendwelchen Literaten, die ihn angriffen, auf eine Stufe
    stellte und sich über sie ärgerte. War denn die Sache das wert? Das mißfiel Wronski, aber trotzdem bedauerte er
    Golenischtschew auch, da er fühlte, daß dieser unglücklich sei. Ein inneres Leid, beinah etwas wie Geistesstörung,
    gab sich auf diesem beweglichen, ganz hübschen Gesicht zu erkennen, als er, ohne Annas Eintritt überhaupt zu
    bemerken, hastig und hitzig seine Ideen zu entwickeln fortfuhr.
    Als Anna mit Hut und Umhang wieder ins Zimmer trat und, mit der schönen Hand in schnellen Bewegungen an ihrem
    Sonnenschirm herumspielend, neben Wronski stehengeblieben war, machte sich dieser mit einem Gefühl der
    Erleichterung von Golenischtschews unverwandt auf ihn gerichteten, mißmutig klagenden Blick los und schaute mit
    neuer Liebe auf seine reizende, lebensfrische, frohe Gefährtin. Golenischtschew gewann nur mit Mühe seine Fassung
    wieder und war zunächst sehr niedergeschlagen und finster; aber Anna, die es mit allen Menschen gut und freundlich
    meinte (so war sie eben damals), wußte ihn durch ihr einfaches, munteres Wesen bald aufzuheitern. Nachdem sie es
    mit verschiedenen Gesprächsstoffen versucht hatte, brachte sie ihn auf die Malerei, über die er sehr gut sprach,
    und hörte ihm aufmerksam zu. Sie gingen zu Fuß nach dem gemieteten Hause und besichtigten es.
    »Eins macht mir ganz besondere

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