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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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    mich ...«
    »Nun, und würdest du Lust haben, auf dem Fleck mit Sergei Iwanowitsch zu tauschen?« fragte Kitty. »Möchtest du
    wie er für das Gemeinwohl tätig sein und dieses aufgegebene Pensum dir zur Herzenssache machen, und damit
    abgetan?«
    »Selbstverständlich nicht«, antwortete Ljewin. »Übrigens bin ich so glücklich, daß meine Denkkraft versagt. Und
    du glaubst wirklich, daß er ihr heute einen Antrag machen wird?« fügte er nach kurzem Stillschweigen hinzu.
    »Ich glaube es und glaube es auch wieder nicht. Aber ich wünsche es von ganzem Herzen. Da, warte mal.« Sie
    bückte sich und pflückte am Rande des Weges eine wilde Kamille. »Nun zähle mal, ob er einen Antrag macht oder
    nicht, ja, nein«, sagte sie und reichte ihm die Blume hin.
    »Ja, nein, ja, nein«, sagte Ljewin, indem er die schmalen, ausgekehlten, weißen Blättchen abriß.
    »Halt, halt!« unterbrach ihn Kitty, die in großer Erregung seine Finger beobachtete, und hielt ihm die Hand
    fest. »Du hast zwei mit einem Male abgerissen.«
    »Na, dafür soll dann dieses kleine hier nicht mitzählen«, erwiderte Ljewin und riß ein kurzes, nicht
    ausgewachsenes Blättchen ab. »Da hat uns auch der Break schon eingeholt.«
    »Bist du nicht müde, Kitty?« rief die Fürstin.
    »Nicht im geringsten.«
    »Sonst steig doch ein, wenn die Pferde folgsam sind und Schritt gehen können.«
    Aber es lohnte nicht mehr einzusteigen, da das Ziel schon ganz nahe war; so gingen sie denn den Rest des Weges
    alle zu Fuß.

4
    Warjenka, mit dem weißen Tuch auf dem schwarzen Haar, umringt von den Kindern, mit denen sie sich harmlos und
    heiter unterhielt, und augenscheinlich erregt durch die Möglichkeit, daß der Mann, der ihr gefiel, ihr einen Antrag
    mache, bot einen allerliebsten Anblick dar. Sergei Iwanowitsch ging neben ihr und wandte seine bewundernden, warmen
    Blicke nicht von ihr. Während er sie ansah, erinnerte er sich an all die lieben Reden, die er aus ihrem Munde
    gehört hatte, und alles, was er Gutes über sie wußte, und kam immer mehr und mehr zu der Erkenntnis, daß das
    Gefühl, das er für sie empfand, ein ganz besonderes sei, eben jenes, das er vor langer, langer Zeit und nur ein
    einziges Mal, in der Zeit seiner ersten Jugend, kennengelernt hatte. Das Gefühl der Freude über ihre Nähe wuchs
    immer mehr und wurde so stark, daß, als er ihr einen von ihm gefundenen gewaltigen Birkenpilz mit dünnem Stiel und
    umgebogenem Rand in ihr Körbchen legte und ihr in die Augen blickte und auf ihrem Gesicht die Röte einer freudigen,
    bangen Erregung bemerkte, er selbst in Verwirrung geriet und ihr schweigend mit einem Lächeln zulächelte, das nur
    zu vielsagend war.
    ›Wenn es so steht‹, sagte er zu sich selbst, ›so muß ich zuerst sorgsam überlegen und dann meine Entscheidung
    treffen, darf mich aber nicht wie ein Knabe vom Empfinden des Augenblicks hinreißen lassen.‹
    »Ich will jetzt hingehen und getrennt von den andern für mich allein Pilze sammeln; denn sonst weiß niemand
    genau, wie groß eigentlich meine eigene Beute ist«, sagte er und begab sich vom Waldsaum, wo sie in dem seidigen,
    niedrigen Grase zwischen vereinzelten alten Birken umhergingen, mehr nach der Mitte des Waldes, wo zwischen den
    weißen Birkenstämmen auch graustämmige Espen und dunkle Haselnußsträucher wuchsen. Nachdem er etwa vierzig Schritt
    weit weggegangen war, bog er um einen Pfaffenhütchenstrauch, der mit seinen rosaroten Kätzchen in voller Blüte
    stand, und da er wußte, daß er hier nicht mehr zu sehen war, blieb er stehen. Um ihn herum war es völlig still. Nur
    oben in den Birken, unter denen er stand, summten wie ein Bienenschwarm unaufhörlich die Fliegen, und ab und zu
    schallten die Stimmen der Kinder herüber. Plötzlich ertönte in nicht allzu weiter Entfernung vom Waldsaume her die
    Altstimme Warjenkas, die den kleinen Grigori rief, und ein freudiges Lächeln trat auf Sergei Iwanowitschs Gesicht.
    Er wurde sich dieses Lächelns bewußt und schüttelte mißbilligend den Kopf über seinen Zustand; dann holte er eine
    Zigarre hervor und wollte sie anstecken. Aber lange Zeit brachte er es nicht fertig, ein Schwefelholz am Stamme
    einer Birke in Brand zu setzen. Das zarte Häutchen der weißen Rinde klebte sich um den Phosphor, so daß die Flamme
    erstickte. Endlich fing ein Schwefelhölzchen Feuer, und der duftige Rauch der Zigarre zog sich wie ein wallendes,
    breites Tuch mit bestimmten Umrissen vorwärts und aufwärts über

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