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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Beklemmung. Ein Gefühl der Rührung ergriff ihn. Er
    fühlte, daß sein Entschluß gefaßt war. Warjenka, die sich soeben niedergekauert hatte, um einen Pilz aufzuheben,
    richtete sich mit einer geschmeidigen Bewegung wieder in die Höhe und blickte um sich. Sergei Iwanowitsch warf die
    Zigarre fort und ging entschlossenen Schrittes zu ihr hin.
Fußnoten
    1 (frz.) ein junger Mann.

5
    ›Warwara Andrejewna, als ich noch sehr jung war, schuf ich mir ein Idealbild der Frau, die ich einst lieben
    würde und die ich mich glücklich schätzen würde, meine Gattin zu nennen. Ein langes Leben liegt bereits hinter mir,
    und jetzt zum ersten Male habe ich in Ihnen das gefunden, was ich suchte. Ich liebe Sie und biete Ihnen meine Hand
    an.‹
    So sprach Sergei Iwanowitsch bei sich selbst, als er nur noch zehn Schritte von Warjenka entfernt war. Sie hatte
    sich auf die Knie niedergelassen, verteidigte mit vorgehaltenen Armen einen Pilz gegen Grigori und rief die kleine
    Mascha herbei.
    »Hierher, hierher, ihr Kleinen! Hier sind viele!« rief sie mit ihrer angenehmen Altstimme.
    Als sie Sergei Iwanowitsch herankommen sah, stand sie nicht auf und änderte auch ihre Haltung nicht; aber alles
    sagte ihm, daß sie seine Annäherung fühle und sich darüber freue.
    »Nun, haben Sie etwas gefunden?« fragte sie, indem sie unter ihrem weißen Tuch hervor ihr hübsches, still
    lächelndes Gesicht ihm zuwandte.
    »Nicht einen einzigen«, antwortete Sergei Iwanowitsch. »Und Sie?« Sie antwortete ihm nicht, da sie mit den
    Kindern zu tun hatte, die sie umringten.
    »Nun noch den da neben dem Ästchen«, sagte sie zur kleinen Mascha und zeigte ihr einen kleinen Täubling, dessen
    pralles, rotes Hütchen querüber von einem trockenen Grashalm tief eingeschnitten war, unter dem er sich
    herausgearbeitet hatte. Warjenka stand auf, nachdem Mascha den Täubling aufgehoben hatte, der dabei in zwei auf der
    Bruchstelle weiße Hälften zerbrochen war. »Dieses Pilzesuchen erinnert mich an meine Kindheit«, sagte sie, während
    sie an Sergei Iwanowitschs Seite sich von den Kindern entfernte.
    Einige Schritte gingen sie schweigend. Warjenka sah, daß er sprechen wollte; sie erriet, was er zu sagen
    beabsichtigte, und der Atem stockte ihr vor freudiger, bänglicher Erregung. Sie hatten sich schon so weit von den
    übrigen entfernt, daß niemand sie mehr hören konnte; aber er begann immer noch nicht zu sprechen. Warjenka hielt es
    für das Richtige, zu schweigen. Nach einem Stillschweigen ließ sich das, was sie sagen wollten, leichter sagen als
    nach irgendwelchen Bemerkungen über Pilze; aber gegen ihren eigenen Willen, ohne daß sie selbst wußte, wie es
    zuging, sagte sie:
    »Also Sie haben nichts gefunden? Übrigens wachsen immer im Innern des Waldes weniger als am Rande.«
    Sergei Iwanowitsch seufzte und gab keine Antwort. Es war ihm ärgerlich, daß sie angefangen hatte, von den Pilzen
    zu reden. Er wollte nun wieder auf das zurückkommen, was sie kurz vorher von ihrer Kindheit gesagt hatte; aber wie
    gegen seinen eigenen Willen machte er, nachdem er ein Weilchen geschwiegen hatte, eine Bemerkung, die an ihre
    letzten Worte anknüpfte:
    »Ich habe mir nur über die Steinpilze sagen lassen, daß sie vorzugsweise am Waldsaume wachsen; freilich weiß ich
    die Steinpilze nicht von anderen zu unterscheiden.«
    Es vergingen noch einige Minuten; sie hatten sich von den Kindern noch weiter entfernt und waren nun völlig
    allein. Warjenkas Herz klopfte so stark, daß sie seine Schläge hörte, und sie fühlte, daß sie rot und blaß und
    wieder rot wurde.
    Die Frau eines solchen Mannes wie Kosnüschew zu werden, das erschien ihr nach ihrer Stellung bei Frau Stahl als
    der Gipfel des Glückes. Außerdem war sie auch beinah davon überzeugt, daß sie ihn liebe. Und nun sollte es sich im
    nächsten Augenblick entscheiden. Ihr war bange zumute. Es war ihr bange vor dem, was er sagen werde, und auch bange
    davor, daß er nichts sagen werde.
    Jetzt oder nie mußte er sich erklären; das fühlte auch Sergei Iwanowitsch. Alles an Warjenka ließ erkennen, daß
    sie in peinlicher Spannung wartete: ihr Blick, ihre Röte, die niedergeschlagenen Augen. Sergei Iwanowitsch blickte
    sie an, und sie dauerte ihn. Er fühlte sogar, wenn er jetzt nicht spräche, würde es eine Beleidigung für sie sein.
    Schnell wiederholte er sich im Geiste alle die Gründe, die für seinen Entschluß sprachen. Er wiederholte sich auch
    die Worte, mit denen er seinen Antrag vorbringen

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