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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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schien, als halte sich Weslowski deswegen für
    einen zweifellos bedeutenden Menschen, weil er lange Nägel trug, diese Mütze aufsetzte und seine sonstige
    Ausstattung damit übereinstimmte; aber das konnte man wegen seiner Gutherzigkeit und Biederkeit entschuldigen. Er
    gefiel Ljewin wegen seiner guten Erziehung, seiner vorzüglichen französischen und englischen Aussprache und dann
    auch, weil er der gleichen gesellschaftlichen Schicht angehörte.
    Wasenka fand außerordentliches Gefallen an dem donischen Steppenpferd, das als linkes Seitenpferd ging. Er
    äußerte fortwährend sein Entzücken über dieses Tier: »Wie schön muß es sein, auf einem solchen Steppenpferde über
    die Steppe dahinzujagen! Wie? Meinen Sie nicht auch?« sagte er. Er stellte sich unter einem Ritte auf einem
    Steppenpferde so etwas Wildes, Poetisches vor, so etwas ohne Zweck und Ziel; aber seine Knabenhaftigkeit hatte,
    namentlich auch im Verein mit seinem hübschen Äußern, seinem liebenswürdigen Lächeln und der Anmut seiner
    Bewegungen, etwas außerordentlich Anziehendes. Ob nun deswegen, weil sein ganzes Wesen Ljewin gefiel, oder
    deswegen, weil Ljewin, um seine gestrige Sünde wiedergutzumachen, bestrebt war, an ihm alles gut zu finden: genug,
    das Zusammensein mit ihm machte Ljewin Vergnügen.
    Als sie drei Werst weit gefahren waren, vermißte Weslowski auf einmal seine Zigarren- und seine Brieftasche und
    wußte nicht, ob er sie verloren oder auf dem Tische hatte liegenlassen. In der Brieftasche befanden sich
    dreihundertundsiebzig Rubel, und es ging daher nicht an, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
    »Wissen Sie was, Ljewin? Ich werde auf diesem donischen Seitenpferde schnell nach Hause reiten. Das wird
    wunderhübsch sein. Nicht wahr?« sagte er und machte schon Anstalten aufzusteigen.
    »Nicht doch, wozu denn?« erwiderte Ljewin, der bedachte, daß Wasenka gewiß nicht unter sechs Pud wog. »Ich werde
    den Kutscher schicken.«
    Der Kutscher ritt auf dem Seitenpferde zurück, und Ljewin lenkte das übriggebliebene Zweigespann selbst.
Fußnoten
    1 (frz.) Das ist gut, das ist gut.

9
    »Nun, wie wird denn unser Marsch sein? Erkläre ihn mal ein bißchen näher«, sagte Stepan Arkadjewitsch.
    »Mein Plan ist dieser: jetzt fahren wir bis Gwosdjewo. Bei Gwosdjewo liegt diesseits ein Schnepfensumpf, und
    hinter Gwosdjewo kommen wundervolle Bekassinensümpfe, auch Schnepfen sind da zu finden. Jetzt ist es ja sowieso
    noch zu heiß; wir sind gegen Abend da (es sind zwanzig Werst) und können noch eine Abendjagd abhalten; wir
    übernachten dort, und morgen geht es dann nach den großen Sümpfen.«
    »Und unterwegs ist gar nichts von Sumpf vorhanden?«
    »Vorhanden ist schon etwas; aber das hält uns zu sehr auf, und es ist auch noch zu heiß. Es sind zwei hübsche
    kleine Sumpfstellen da; aber es wird dort kaum etwas zu finden sein.«
    Ljewin hatte selbst große Lust, diese Stellen zu besuchen; aber da sie nicht weit von seinem Gut lagen, so hatte
    er jederzeit die Möglichkeit, sie vorzunehmen, und dann waren diese Stellen auch nur klein, so daß drei Jäger dort
    nicht recht Platz zum Schießen hatten. Und somit war es eigentlich gewissenlos von ihm, zu sagen, daß dort kaum
    etwas zu finden sein werde. Als sie in die Nähe des einen dieser beiden kleinen Sümpfe gelangt waren, wollte Ljewin
    vorüberfahren; aber Stepan Arkadjewitschs geübtes Jägerauge entdeckte sofort den vom Wege aus sichtbaren
    Moorboden.
    »Wollen wir mal hingehn?« sagte er, auf den Sumpf zeigend.
    »Ach ja, Ljewin, das ist ja herrlich!« bat Wasenka Weslowski, und Ljewin konnte nichts anderes tun als
    nachgeben.
    Sie hatten noch nicht angehalten, als die Hunde schon um die Wette nach dem Sumpf hinstürmten.
    »Crack, Laska!«
    Die Hunde kehrten zurück.
    »Zu dreien wird es zu eng sein. Ich will hierbleiben«, sagte Ljewin in der Hoffnung, daß sie nichts finden
    würden außer den Kiebitzen, die, von den Hunden aufgescheucht, sich erhoben hatten und kläglich schreiend in
    schwankendem Fluge über dem Sumpf flatterten.
    »Aber nicht doch! Kommen Sie, Ljewin, kommen Sie mit!« rief Weslowski.
    »Nein, wirklich, es ist zu eng. Laska, zurück! Laska! Zwei Hunde werden Sie ja wohl nicht gebrauchen?«
    Ljewin blieb bei dem Jagdwagen zurück und blickte voll Neid den Jägern nach. Diese durchwanderten den ganzen
    Sumpf. Aber außer einem Wasserhuhn und den Kiebitzen, von denen Wasenka einen schoß, war in ihm nichts
    vorhanden.
    »Na, da sehen Sie, meine

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