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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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die
    Pferde mit dem Jagdwagen nicht mehr auf dem Wege, sondern im Sumpf waren.
    In dem Wunsche, dem Schießen zuzusehen, war Weslowski so weit in den Sumpf hineingefahren, daß die Pferde darin
    steckengeblieben waren.
    »Hol ihn der Teufel!« murmelte Ljewin vor sich hin, während er zu dem festsitzenden Wagen zurückkehrte. »Warum
    sind Sie denn hierhergefahren?« sagte er in trockenem Ton zu ihm, rief dann den Kutscher herbei und machte sich
    daran, die Pferde herauszubringen.
    Ljewin ärgerte sich, weil er im Schießen gestört worden war und weil seine Pferde in den Sumpf hineingeführt
    waren, hauptsächlich aber, weil weder Stepan Arkadjewitsch noch Weslowski ihm und dem Kutscher behilflich waren,
    die Pferde auszuspannen und herauszubringen, da weder der eine noch der andere den geringsten Begriff davon hatte,
    wie ein Pferd angeschirrt ist. Ohne dem schuldigen Wasenka auf seine Beteuerung, daß es da ganz trocken gewesen
    sei, auch nur eine Silbe zu erwidern, arbeitete Ljewin mit dem Kutscher schweigend, um die Pferde herauszubekommen.
    Aber dann, als er bei der Arbeit warm geworden war und sah, mit welcher Anstrengung und welchem Eifer Weslowski den
    Wagen an dem einen Kotflügel zog, so daß er ihn sogar abbrach, da machte sich Ljewin Vorwürfe, daß er unter der
    Nachwirkung seines gestrigen Grolles doch wohl zu kalt gegen Weslowski gewesen sei, und bemühte sich, seine
    Unfreundlichkeit durch besondere Liebenswürdigkeit wiedergutzumachen. Als alles in Ordnung gebracht und der Wagen
    wieder auf den Fahrweg geschafft war, ließ Ljewin das Frühstück hervorholen.
    »Bon appétit, bonne conscience!« 1 sagte Wasenka,
    der wieder ganz vergnügt geworden war, mit einem französischen Scherzworte und fügte, da er gerade sein zweites
    Hühnchen verzehrte, hinzu: »Ce poulet va tomber jusqu'au fond de mes bottes. 2 Na, aber jetzt hat es mit unserem Pech ein Ende; von nun an wird alles glücklich
    vonstatten gehen. Nur fühle ich mich zur Strafe für das, was ich begangen habe, verpflichtet, auf dem Bock zu
    sitzen. Einverstanden? Wie? Nein, nein, ich werde Ihr Automedon sein. Passen Sie nur auf, wie ich Sie fahren
    werde!« entgegnete er, als Ljewin ihn bat, doch den Kutscher fahren zu lassen, und ließ die Zügel nicht los. »Nein,
    ich muß meine Schuld sühnen, und ich fühle mich auch auf dem Bock sehr wohl.« So kutschierte er denn los.
    Ljewin hatte einige Besorgnis, er werde die Pferde zu sehr anstrengen, besonders das rechte Seitenpferd, den
    Fuchs, den er nicht zurückzuhalten verstand. Aber unwillkürlich ließ er sich von Weslowskis Fröhlichkeit anstecken
    und hörte zu, wie dieser, auf dem Bocke sitzend, während des ganzen Weges Lieder sang und Anekdoten erzählte und
    mit Vorführungen auseinandersetzte, wie man auf englische Art, four in hand, fahren müsse. So kamen sie alle nach
    dem Frühstück in vergnügtester Stimmung bei dem Sumpf von Gwosdjewo an.
Fußnoten
    1 (frz.) Guter Appetit, gutes
    Gewissen.
    2 (frz.) Dieses Huhn wird mir bis in meine
    Stiefel fallen.

10
    Wasenka war so scharf zugefahren, daß sie zu früh, als es noch heiß war, bei dem Sumpf anlangten.
    Als sie diesen richtigen, großen Sumpf, das Hauptziel ihrer Fahrt, erreicht hatten, überlegte Ljewin
    unwillkürlich, wie er es anstellen könne, sich Wasenkas zu entledigen und allein und ungestört zu gehen. Stepan
    Arkadjewitsch hegte offenbar denselben Wunsch, und Ljewin nahm auf seinem Gesicht jenen Ausdruck von Sorge wahr,
    der sich bei jedem richtigen Jäger vor dem Beginn einer Jagd zeigt, und dazu noch den Ausdruck einer gewissen, ihm
    besonders eigenen gutmütigen Schlauheit.
    »Wie wollen wir denn nun gehen? Der Sumpf sieht ja vorzüglich aus, und ich sehe, es sind auch Habichte da«,
    sagte Stepan Arkadjewitsch und zeigte auf zwei große Vögel, die über dem hohen Riedgras kreisten. »Wo Habichte
    sind, da ist unfehlbar auch Wild.«
    »Sehen Sie einmal da, meine Herren«, sagte Ljewin, indem er mit etwas finsterer Miene seine Stiefel hinaufzog
    und die Zündstifte an seinem Gewehre nachsah. »Sehen Sie wohl das Ried da?« Er zeigte auf ein dunkelgrünes
    Inselchen inmitten einer gewaltig großen, halb abgemähten, feuchten Wiese, die sich an der rechten Seite des
    Flusses hinzog. »Der Sumpf beginnt gleich hier, unmittelbar vor Ihnen; sehen Sie wohl, wo es grüner wird. Von da
    zieht er sich nach rechts, wo die Pferde gehen; da sind Erdhöcker, und da finden sich Schnepfen; auch um dieses
    Ried herum, da bis an

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