Anna Karenina
Erzählungen über die an diesem Tage abgegebenen
Schüsse, über die Hunde und über frühere Jagden bewegt hatte, wendete es sich einem Gegenstand zu, der alle
interessierte. Aus Anlaß wiederholter schwärmerischer Ausdrücke Wasenkas über dieses entzückende Nachtlager und den
Duft des Heus, über einen entzückenden zerbrochenen Bauernwagen (er hielt ihn für zerbrochen, weil die Vorderräder
samt ihrer Achse abgenommen waren), über die Gutherzigkeit der Bauern, die ihn mit Schnaps bewirtet hatten, und
über die Hunde, von denen ein jeder zu Füßen seines Herrn lag, erzählte Oblonski von einer wundervollen Jagd bei
dem schwerreichen Eisenbahnunternehmer Maltus, die er im vorigen Sommer mitgemacht hatte. Er erzählte, welch
großartige Moore dieser Maltus im Gouvernement Twer erworben habe und wie vorzüglich sie in Ordnung gehalten würden
und in welch vornehmen Wagen, Dogcarts, die Jäger hinbefördert worden seien und welch verschwenderisches
Frühstückszelt am Moore aufgeschlagen gewesen war.
»Es ist mir unverständlich«, sagte Ljewin, indem er sich auf seinem Heulager aufrichtete, »daß dir solche Leute
nicht zuwider sind. Ich habe Verständnis dafür, daß ein Frühstück mit Lafitte eine vergnügliche Sache ist; aber ist
dir der Luxus nicht gerade bei diesen Leuten zuwider? Alle diese Leute, ganz wie ehemals unsere Branntweinpächter,
erwerben ihr Geld auf eine solche Weise, daß sie sich dabei die allgemeine Verachtung zuziehen; aber um diese
Verachtung kümmern sie sich herzlich wenig, sondern kaufen sich nachher mit dem ehrlos erworbenen Geld von der
früheren Verachtung wieder frei.«
»Vollkommen richtig!« stimmte Wasenka Weslowski bei. »Vollkommen richtig! Oblonski verkehrt ja mit solchen
Leuten natürlich nur aus Gutmütigkeit; aber andere sagen: wenn ein Mann wie Oblonski dahin fährt! ...«
»So ist das ganz und gar nicht« (Ljewin glaubte, während er Oblonski das sagen hörte, ordentlich zu sehen, wie
dieser lächelte). »Sondern ich halte ihn einfach nicht für ehrloser als irgendwen von unseren reichen Kaufleuten
und Adligen. Die einen wie die andern sind in gleicher Weise durch Arbeit und Klugheit reich geworden.«
»Wieso durch Arbeit? Ist denn das eine Arbeit, sich eine Konzession zu verschaffen und sie dann
weiterzuverkaufen?«
»Selbstverständlich ist auch das eine Arbeit. Eine Arbeit insofern, als wir, wenn er und seinesgleichen nicht so
handelten, keine Eisenbahnen hätten.«
»Aber es ist doch keine solche Arbeit wie die des Bauern oder des Gelehrten.«
»Allerdings nicht; aber es ist Arbeit insofern, als die Tätigkeit dieses Mannes ein Ergebnis hat: die
Eisenbahnen. Aber du findest ja, daß die Eisenbahnen wertlos sind.«
»Nein, das ist eine andere Frage; ich bin bereit, zuzugeben, daß sie nützlich sind. Aber jeder Erwerb, der nicht
im richtigen Verhältnis zu der darauf verwandten Arbeit steht, ist unehrenhaft.«
»Aber wer soll denn das richtige Verhältnis bestimmen?«
»Ich meine einen Erwerb auf unehrenhaftem Wege, durch Verschlagenheit«, sagte Ljewin, der selbst fühlte, daß er
nicht imstande war, die Grenze zwischen ehrenhaft und unehrenhaft festzusetzen. »So der Erwerb bei Bankgeschäften«,
fuhr er fort. »Dieses Übel, die Erwerbung gewaltiger Vermögen ohne Arbeit, wie das bei den Branntweinpächtern etwas
Gewöhnliches war, hat nur seine Gestalt verändert. Le roi est mort, vive le roi! 3 Kaum hatte man dem Branntwein-Pachtwesen ein Ende gemacht, als auch schon die
Eisenbahnen und Banken auf der Bildfläche erschienen: gleichfalls so ein Erwerb ohne Arbeit.«
»Ja, das mag alles ganz richtig und scharfsinnig sein ... Kusch dich, Crack!« rief Stepan Arkadjewitsch seinem
Hunde zu, der sich kratzte und das ganze Heu zerwühlte. Er war augenscheinlich von der Richtigkeit seiner
Anschauung vollständig überzeugt und sprach daher ruhig und ohne Überstürzung. »Aber du hast die Grenze zwischen
ehrenhafter und unehrenhafter Arbeit nicht festgelegt. Wenn ich ein größeres Gehalt beziehe als mein Bürovorsteher,
obgleich er von den Geschäften mehr versteht als ich, ist das unehrenhaft?«
»Das weiß ich nicht.«
»Nun, dann will ich dir sagen: wenn du von deiner landwirtschaftlichen Arbeit einen Bargewinn von, sagen wir
mal, fünftausend Rubeln hast, während unser bäuerlicher Landwirt, und wenn er noch soviel arbeitet, nicht mehr als
fünfzig Rubel verdient, so ist das geradeso unehrenhaft, wie wenn ich mehr
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