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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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    der er den ersten Walzer getanzt hatte, und musterte »seine Truppen«, das heißt die zum Tanz angetretenen Paare, da
    erblickte er die eintretende Kitty, eilte mit jenem besonderen, nur den Ballordnern eigenen, ungezwungenen,
    wiegenden Gange auf sie zu, verbeugte sich und hob, ohne auch nur zu fragen, ob es ihr recht sei, den Arm, um ihn
    um ihre schlanke Taille zu legen. Sie blickte sich um, wem sie ihren Fächer übergeben könnte, und die Hausfrau nahm
    ihn ihr, freundlich lächelnd, ab.
    »Wie schön, daß Sie so pünktlich gekommen sind«, sagte er, während er ihre Hüfte umfaßte. »Dieses Zuspätkommen
    ist auch eine zu arge Unsitte.«
    Sie legte den gebogenen linken Arm auf seine Schulter, und die kleinen Füßchen in den rosa Schuhen bewegten sich
    hurtig, leicht und gleichmäßig nach dem Takte der Musik auf dem glatten Parkett.
    »Es ist geradezu eine Erholung, mit Ihnen Walzer zu tanzen«, sagte er nach den ersten ruhigen Walzerschritten.
    »Eine ganz entzückende Leichtigkeit und précision«, – er sagte ihr dasselbe, was er fast allen Damen seiner
    Bekanntschaft sagte.
    Sie lächelte über sein Lob und fuhr fort, über seine Schulter hinweg sich im Saale umzusehen. Sie war kein
    Neuling, für den auf einem Balle alle Gesichter zu einem einzigen zauberhaften Gesamteindrucke zusammenfließen,
    aber sie war auch keine jener jungen Damen, die von ihren Müttern auf alle Bälle geschleppt werden und dort alle
    Gesichter schon so genau kennen, daß sie sie gar nicht mehr sehen mögen, sondern sie nahm eine Mittelstellung
    zwischen diesen beiden Gegensätzen ein: sie war wohl erregt, hatte sich aber dabei doch so weit in der Gewalt, daß
    sie Beobachtungen anstellen konnte. In der linken Ecke des Saales hatte sich, wie sie sah, die Creme der
    Gesellschaft aufgestellt. Da war die schöne, fast bis zur Unmöglichkeit dekolletierte Liddy, die Frau des Herrn
    Korsunski; da war die Hausfrau; da saß mit seiner weithin leuchtenden Glatze Herr Kriwin, der sich immer dort
    aufhielt, wo sich die Spitzen der Gesellschaft befanden; dorthin richteten die jungen Herren ihre Blicke, ohne daß
    sie doch gewagt hätten, hinzugehen; und dort fand sie auch mit den Augen ihren Schwager Stiwa heraus, und dann
    erblickte sie Annas schönen Kopf und entzückende Gestalt in einem schwarzen Samtkleide. Auch ›er‹ war dort. Kitty
    hatte ihn seit dem Abende, da sie Ljewins Antrag abgelehnt hatte, nicht wiedergesehen. Mit ihren scharfen Augen
    erkannte sie ihn sofort und bemerkte sogar, daß er zu ihr herüberschaute.
    »Nun, noch eine Runde? Sie sind doch nicht ermüdet?« fragte Korsunski, der ein wenig außer Atem gekommen
    war.
    »Nein, ich danke.«
    »Wohin darf ich Sie führen?«
    »Ich glaube, dort ist Frau Karenina. Führen Sie mich, bitte, zu ihr!« – »Wie Sie befehlen.«
    Und Korsunski walzte mit kürzer abgemessenen Schritten gerade auf die Gruppe in der linken Ecke des Saales zu,
    wobei er fortwährend sagte: ›Pardon, mes dames, pardon, pardon, mes dames!‹ und in diesem Meere von Spitzen, Tüll
    und Bändern so geschickt kreuzte, daß er auch nicht an einem Flitterchen anhakte; dann schwenkte er seine Dame in
    kurzer Wendung herum, so daß ihre schlanken Beinchen in den durchbrochenen Strümpfen sichtbar wurden und ihre
    Schleppe sich fächerförmig ausbreitete und Kriwins Knie bedeckte. Korsunski verbeugte sich, drückte die Brust in
    dem weiten Westenausschnitt nach vorn heraus und reichte Kitty den Arm, um sie zu Anna Arkadjewna zu führen.
    Errötend nahm Kitty ihre Schleppe von Kriwins Knien herunter und blickte dann, ein wenig schwindlig, umher, um Anna
    herauszufinden. Anna war nicht in Lila, wie Kitty das für das einzig Gegebene gehalten hatte, sondern trug ein
    schwarzes, tief ausgeschnittenes Samtkleid, das ihre vollen, wie aus altem Elfenbein gedrechselten Schultern, die
    Büste und die rundlichen Arme mit den feinen, schmalen Handgelenken frei ließ. Das ganze Kleid war mit
    venezianischer Stickerei besetzt. Auf dem Kopfe trug sie in dem schwarzen Haare, lauter eigenem ohne fremden
    Zusatz, eine kleine Girlande von Stiefmütterchen, und ein Sträußchen ebendieser Blumen steckte zwischen weißen
    Spitzen an dem schwarzen Gürtelbande. Ihre Frisur hatte nichts Auffallendes. Auffällig waren nur diese überaus
    reizenden, eigenwilligen, kurzen Ringel des lockigen Haares, die überall, am Nacken und an den Schläfen, vom Kopfe
    abstanden. Um den glatten, kräftigen Hals schlang sich eine

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