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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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gähnt, wird sie ihr die Zähne ausschlagen.
    »Dann bring deine Henkersmahlzeit doch mal mit, damit wir auch kosten können.«
    Anna setzt ihre Kaffeetasse behutsam ab. Dieser Satz klang nicht leicht, sondern böse. Männer zerstören Frauenfreundschaften, das wäre Liebling nicht wert. Oder doch? Und wie würde er Sibylle finden, Freddy und Fjodor? Annas Freunde, ihre Heimat, und schon ist sie in Versuchung, sie aus kritischer Distanz zu betrachten. Das ist falsch. Beginnst du, mit seinen Augen zu sehen, bist du schon verloren. »Es ist nichts Ernstes, Sibylle. Du musst dir keine Sorgen machen. Ist noch Kaffee da?«
    Sibylle zeigt mit dem Daumen auf die Kaffeemaschine. Sie ist nicht dazu da, um Anna zu bedienen. Die Kneipe öffnet erst in einer halben Stunde. Und sie hat das Gefühl, seit einer Ewigkeit von Nächten wach zu sein. Alles ist schwer, und jedes Morgengrauen der Beginn eines ermüdenden Tages. Und doch sind die Stunden in der Kneipe eine Erholung von den Nächten mit Jonathan. Eine Geräuschkulisse, die nicht an ihren Nerven sägt. Gesichter, die so wohltuend fremd und gleichgültig sind. Jede Liebe, jede wirkliche Liebe ist eine Prüfung, und niemand weiß, ob er sie bestehen wird.
    Jonathan schläft jetzt, und Sibylle wünscht sich, es würde immer so bleiben. Ein Kind, das nicht mehr aufwacht und nie mehr schreien kann …
    Anna verbrennt sich die Finger an der Kaffeekanne und flucht. Darin ist sie gut, im Fluchen nach Zusammenstößen mit verletzenden Gegenständen. Es kommt öfter vor.
    »Du bist so ungeschickt«, sagt Sibylle erbarmungslos.
    »Und du leidest an dieser Dingsbumsdepression.«
    »Ich leide an postnataler Übermüdung. Du hättest mich nie überreden dürfen, dieses Kind auszutragen.«
    Das war unfair. Anna schenkt sich schweigend den Kaffee ein und beschließt, den »Mondscheintarif« für ein paar Tage zu meiden. Sibylle braucht einen Schuldigen, und Anna Marx bietet sich an. So breite Schultern, und eine Freundschaft, in der sich Geben und Nehmen die Waage hält. Bisher.
    Sibylle braucht jemanden, den sie anbrüllen kann. Anna ist zu oft präsent und kann außerdem nicht kündigen. Bei Freddy und dem melancholischen Koch ist Sibylle vorsichtiger.
    »Der Babysitter ist abgesprungen. Kannst du heute Nachmittag auf Jonathan aufpassen?«
    Kann sie nicht. Anna ist mit Eva Mauz verabredet, weil sie noch einmal in die Wohnung der Schwester will. Auf der Suche nach Spuren, die einen Dichter überführen könnten. »Tut mir Leid, ich muss arbeiten. Frag’ Fjodor, der hat immer Zeit.«
    Sibylle kämpft mit den Tränen, es ist so lächerlich, bei den geringsten Anlässen zu heulen. Was sie früher nie getan hat. Es war ein anderes Leben. Sorglosigkeit, Schlaf und Sex: Sie hatte alles. Jetzt hat sie ein Kind. Und Freunde, die sie mitfühlend ansehen, sich aber vom Sozialfall Mutter bisweilen belästigt fühlen. So wie Anna jetzt, und die Tränen fließen und sind aus Wut geformt. Sibylle muss diese Wut auf andere projizieren, um nicht daran zu ersticken. »Fjodor ist die letzte Wahl, das weißt du genau. Sein Gesang bringt Jonathan zum Schreien.«
    »Ja eben. Und weil dein Kind da durchaus mit ihm mithalten kann, verstummt Fjodor irgendwann. Wo ist das Problem? Und warum weinst du?«
    »Weil ich eine schlechte Mutter bin. Du hättest es wissen müssen. Wir werden nie in die Toskana ziehen. Und ich werde in diesem Loch verrecken.«
    »Du könntest an Selbstmitleid ertrinken«, sagt Anna und reicht ihr ein Taschentuch. Sibylle schnäuzt sich anklagend und beginnt dann zu lachen. Es klingt ein wenig hysterisch, doch Anna stimmt mit ein. Sie haben so viel Gelächter geteilt in den guten alten Zeiten. Sie waren sorgloser damals – und ausgeschlafener.
    Anna umarmt ihre Freundin und flüstert ihr ins Ohr, dass sie eine wunderbare Mutter sei. Manches klingt besser leise: Geständnisse, Geheimnisse, Lügen. Sie verspricht Sibylle, Fjodor zu verpflichten, und geht dann hinaus in den Regen, der diesen Frühsommer begleitet wie ein lästiger Hund. Anna besitzt keinen Schirm. Es gibt Dinge, die ihr nichts bedeuten: Schirme, Fahrradpumpen, Schlagbohrer, Eierkocher, Küchenmaschinen, Perserteppiche, Designermöbel. Ihre Wohnung, ihr Büro, sie kommen ohne all diese Dinge aus. Es ist ihr Zuhause: ein bisschen schäbig, ein wenig schräg, eben das Sammelsurium eines ungeordneten Lebens, in dem Perfektion nie eine Rolle spielte.
    Anna wirft ihren nassen Trenchcoat auf den Gummibaum im Büro, der auch als

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