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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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Liebling schätzt sie auf fünfundvierzig, mehr oder weniger. Sie reicht ihm bis zur Schulter, als er aufsteht und ihr die Hand schüttelt. Sie trägt sehr hohe Absätze und hält sich sehr gerade, um größer zu wirken. Er weist auf den Besucherstuhl, den er freigeräumt hat. Ihren Familiennamen, der nach einer Frucht klingt, hat er bereits vergessen, nachdem sie ihm am Telefon sagte, dass er sie »Chris« nennen sollte. Martin und Chris: Sie setzt sich, schlägt ihre Beine übereinander und dankt ihm für die Audienz. Ein wenig spöttisch, und ihre Beine sind gut, was sie offensichtlich weiß.
    »Darf ich rauchen?«
    Nette Stimme. Er weist auf den riesigen Aschenbecher, und Alicia bringt Kaffee und Mineralwasser. Er sagt der Blonden, dass er eine Stunde Zeit für sie habe, dann müsse er zu einem Termin ins Parlament. »Sonst hätte ich Sie natürlich zum Mittagessen eingeladen. Möchten Sie Kekse?«
    Sie schüttelt den Kopf und holt aus ihrer Handtasche Zigaretten und Feuerzeug, einen Block und Bleistift. Kein Tonbandgerät, das hat er sich schon beim Telefongespräch verbeten. Er möchte nicht zitiert werden und wird im Zweifelsfall alles abstreiten. Alicia steht an der Tür, und ihm fällt zum ersten Mal auf, dass sie ihre dunklen Haare rot gefärbt hat. Es sieht verboten aus, wie zum Teufel kommen Frauen nur auf solche Ideen? »Wir brauchen nichts mehr, danke, Alicia. Und sagen Sie Bruno, dass er sich um die Ausschussprotokolle kümmern soll.«
    Sie entschwebt. Alicia ist so dünn, dass er damals trotz seines Vollrausches Hemmungen hatte, sie anzufassen, aus Angst, sie könne zerbrechen. Die Blonde ist auch zierlich, aber irgendwie kompakter. Zu wenig Busen, Gott, er mag die Frauen nun einmal in Kurven und Rundungen. Sie fühlen sich einfach besser an, die Gemahlin hat das nie verstanden und ihn mit immer währenden Diäten genervt. Sie war so schön und hat nie vermocht, souverän damit umzugehen, das herzlose Miststück.
    »Wer hat die Macht in Brüssel?«
    Ihr Satz reißt Liebling aus seinen Tagträumen, die immer auch ein mörderisches Element haben, zumindest, wenn seine Exfrau darin vorkommt. Komische Eingangsfrage, denkt er, und beugt sich über den Schreibtisch, um ihr Feuer zu geben. Spöttische braune Augen hat sie, und er zieht Annas grüne vor. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und denkt über eine Antwort nach. Sie sieht ihn mit schräg gestelltem Kopf an, wartend. Ihm fällt kein Blondinenwitz ein, und so beantwortet er die Machtfrage:
    »Nicht nur einer, wie der Kanzler in Berlin. Die Macht ist aufgeteilt. Zum einen die EU-Kommissare und vor allem die Generaldirektoren, die eigentlichen Herren der Verwaltung. Zum anderen der Ministerrat. Und natürlich im Parlament die Vorsitzenden der wichtigen Ausschüsse und die Berichterstatter. Allerdings können in Brüssel auch Hinterbänkler einiges bewegen, wenn sie gelernt haben, einen Ball zu stoppen oder eine Vorlage in ein Tor zu verwandeln. Denn es gibt hier keinen Fraktionszwang. Manchmal, auch wenn es nicht häufig vorkommt, machen die Abgeordneten der Kommission die Hölle heiß.«
    »Es würde also Sinn machen, Abgeordnete zu bestechen?«
    Liebling reißt die Augen auf und mustert sein Gegenüber mit einem Unschuldsblick. »Wieso fragen Sie mich das? Ich bin nur ein kleiner Berater, Verehrteste, eine winzige Fußnote in der europäischen Politik.«
    Chris Feigen, jetzt fällt ihm der Name wieder ein, wippt ungeduldig mit den Füßen. Was hat sie erwartet? Dass er ihr sein Herz ausschüttet, nur weil sie ein nettes Lächeln hat?
    »Es ist doch eine einfache Frage, und Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, Herr Liebling. Niemand weiß so viel wie Sie – sagt man in Brüssel.«
    Ihr Blick trägt einen Gran Spott. Sie verachtet mich, denkt Liebling, und es bedeutet nichts. Weil ich mich selbst so wenig schätze, dass mir die Geringschätzung anderer inzwischen gleichgültig ist. Beinahe. Wie kam er überhaupt auf die Idee, sich mit einer Schreiberin einzulassen? Ach ja, Bruno hat ihm die Dame ans Herz gelegt. Sein Assistent, dessen schwaches Herz Blondinen zuneigt. Liebling legt seine Worte auf die Goldwaage: »Im Allgemeinen würde es nicht viel bringen. Außerdem sind viele Parlamentarier ohnehin Lobbyisten, soll heißen, dass viele von ihnen auch Firmen oder Verbände repräsentieren. Politik und Wirtschaft sind ja nicht unbedingt Gegenpole. Im Idealfall ergänzen sie einander. Sehen Sie, kein Abgeordneter kann auf die

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