Anna Marx 9: Feuer bitte
Freiheit.«
»Sie stehen auf deren Seite.«
Liebling gibt ihr Feuer und sieht ihr in die Augen. »Ich stehe nur auf meiner Seite, Verehrte. Ich habe einige Standpunkte verloren, doch sehr viel Geld dazugewonnen. Und kritisierbar bin ich nur innerhalb meiner Ideenwelt. Also hören Sie auf, mich mit der moralischen Keule erschlagen zu wollen.«
Dass sie jetzt lacht, überrascht ihn, denn er wollte nicht komisch sein. Frauen sollten öfter lachen und weniger dumme Fragen stellen. Er mag Annas Lachen und ihren großen Mund. Die Blonde ignoriert seinen Blick auf die Uhr: »Also gut, reden wir über Zigarettenschmuggel und Geldwäsche. Ich habe gehört, dass Sie die amerikanische Firma beraten, die jetzt von der EU verklagt werden soll.«
Europa ist ein Dorf, und er hätte mit Schultz nicht ins »Crocodile« gehen dürfen, sondern in eine anonyme Eckkneipe. Eitelkeit, gepaart mit Wollust, und wenn er an die sieben Todsünden glaubte, wäre die Hölle ein sicherer Ort. »Nein, das stimmt nicht ganz. Es gibt Vorgespräche, aber noch keinen Vertrag. Die Firma ist natürlich an einem Vergleich interessiert, man möchte einen Prozess vermeiden. In diesem Zusammenhang hätten sie mich gern als Mittler an Bord. Das ist der Stand der Dinge.«
»Morris und Reynolds haben sich mit der EU mit 1,25 Milliarden Dollar verglichen, zahlbar innerhalb von zwölf Jahren. Es war ein ähnlicher Vorwurf, und der Deal war ein Witz, wenn man bedenkt, um welche Gewinnspannen es geht.«
Pro 40-Fuß-Container, an Zoll und Steuer vorbeigeschmuggelt, eine halbe Milliarde Euro Gewinn auf dem Schwarzmarkt, denkt Liebling. Bei 400 Milliarden illegaler Zigaretten, die Jahr für Jahr um die Erde kutschiert werden, ein globales Wahnsinnsgeschäft, in dem Drogendealer und Waffenhändler kräftig mitmischen. Denn mit Zigarettenschmuggel lässt sich Schwarzgeld reinwaschen, das sauber wieder bei den Produzenten landet. Er sieht noch einmal auf die Uhr, um ihr zu zeigen, dass ihre Zeit abläuft: »Es war ein Kompromiss, von dem alle Seiten profitierten. Die EU investiert das Geld in Antiraucherkampagnen, und die Tabakkonzerne erschließen neue Märkte in Afrika und Asien. Alles löst sich in freundlichen Rauch auf. Was zum Teufel wollen Sie noch von mir wissen?«
Sie hält ihren Bleistift wie eine Waffe auf ihn gerichtet: »Warum Europa keine schärfere Gangart gegen die Konzerne und die Drahtzieher in der Schweiz einlegt. Warum es nur Teilerfolge bei der Bekämpfung des Zigarettenschmuggels gibt. Warum immer faule Kompromisse. Warum Sie bei alledem ihre Finger im Spiel haben. Das will ich wissen.«
Liebling denkt an eine Million gewaschenes Geld. Es stinkt nicht. Und damit wären im Grunde alle Fragen beantwortet. Er lässt sich Zeit mit einer Antwort, die nicht ohne Wahrheitsgehalt ist: »Die Fraktionen in Kommission, Parlament und Ministerrat sind sich in der Tabakfrage uneins, das mag eine Erklärung sein. Die gesamteuropäische Verbrechensbekämpfung steckt noch in den Kinderschuhen. Ich lebe davon, Leute zusammenzubringen, die Kompromisse aushandeln. Und Ihre Zeit ist um, Madame.«
Sie seufzt. Es klingt so traurig, dass er beinahe versucht ist, sie zu trösten. »Warum schreiben Sie nicht einen Liebesroman oder Thriller? Etwas, das nicht so kompliziert ist wie ein Sachbuch über Europapolitik? Sie werden sich hier in Brüssel die Zähne ausbeißen.«
Ihre Zähne, von einem Lächeln enthüllt, sind keineswegs perfekt. Dennoch, eine gewisse Schwäche für Blondinen ist nicht zu leugnen, Anna hin oder her. Chris Feigen scheint eher amüsiert als beleidigt. »Keine Ahnung, es ist wie eine Droge. Wenn man einmal damit anfängt, kommt man nicht so leicht davon los. Möglich, dass ich dieses Buch nie zu Ende bringen werde. Würden Sie mir denn noch verraten, wie ich an John Schultz rankomme? Er ist als Lobbyist nicht registriert.«
Was ihn gar nicht wundert. Schultz ist ein Schattenmann, und sie wird seine Geschäfte nie ans Licht bringen. Weil er sie ein wenig bedauert, beantwortet er ihre letzte Frage: »Meines Wissens ist er im ›Metropole‹ abgestiegen, und er sieht aus wie ein hübsches Krokodil. Achten Sie auf seine Augen – und seien Sie vorsichtig.«
»Sie aber auch«, sagt die Besucherin, als sie aufsteht. Während er sie zur Tür begleitet, überlegt er, was sie damit gemeint haben könnte. Eine Floskel oder das letzte Wort, das manche Frauen brauchen, denkt er, als er ihr zum Abschied die Hand reicht. Bruno nimmt sie in Empfang, und er
Weitere Kostenlose Bücher