Anna Marx 9: Feuer bitte
dass sie selbst darin zu verschwinden scheint. Sie späht durch die Tür und sieht, dass ihr Baby immer noch schläft. Schließt sie wieder. »Was ist mit Liebling? Ist die Liebe schon zu Ende?«
Anna setzt sich auf den Boden vor die Tür und zieht ihre Schuhe aus. Gebrechliche Gestalten in gestreiften Bademänteln schlurfen vorüber und sehen durch sie hindurch. Dies ist ein Krankenhaus, und die Leiden der anderen interessieren nicht. »Nein«, sagt Anna, »aber vielleicht hat sie gar nie angefangen. Wenn er der Mann ist, den ich im Mauz-Fall suche, wäre dies ein solcher Witz des Schicksals, dass ich mich darüber totlachen könnte.«
Sibylle hat sich neben Anna gesetzt. »Sprichst du absichtlich in Rätseln?«
Anna erzählt ihr von dem Foto, das sie in der Wohnung gefunden hat. »Zufall«, sagt Sibylle spontan. »Er ist auch auf dem Schiff gewesen, und jemand hat sie fotografiert. Der Mann hat doch Geld, wie du sagst. Warum sollte er heiratsschwindeln?«
Wir haben in all den Jahren die Gabe entwickelt, einander zu trösten, denkt Anna. Und dass geteiltes Gelächter nur die eine Hälfte der Freundschaft ist. »Vielleicht macht er es aus Spaß. Weil er Frauen hasst oder so … und vielleicht hat er gar nicht so viel Geld, wie er tut. Manchmal denke ich, er ist ein Blender. Einer, der nichts von dem hält, was er verspricht.«
Sibylle legt Anna den Arm um die Schulter. »Und dann lacht er sich eine arme Kirchenmaus wie dich an? Ich bitte dich, Anna, komm mir jetzt nicht mit Verschwörungstheorien. Was ist mit dem Dichter?«
So beruhigend, diese Worte. Anna drückt die Hand an ihrer Schulter. »Er schickt mir ab und zu Gedichte, und gestern sind wir spazieren gegangen. Gangwein kommt mir so harmlos vor. Können Poeten böse sein? Irgendwie glaube ich nicht daran. Gestern habe ich den Namen Julia Mauz erwähnt, sagte, dass sie eine Freundin von mir war und sich umgebracht hat. Ich habe ihn dabei genau beobachtet – und es gab keine Reaktion, absolut nichts. Anschließend hielt er mir einen Vortrag über die Würde, die in einem Freitod liegen kann. Seneca ließ grüßen, und Gangwein hört sich gerne reden, aber das ist kein Verbrechen.«
»Vielleicht ist er nur ein guter Schauspieler.«
Es ist möglich, denkt Anna. Alles ist möglich, doch das hilft in der Sache nicht weiter. »Vielleicht bin ich nur eine schlechte Detektivin. Seit ich das Foto habe, blocke ich Liebling ab, weil ich Angst davor habe, ihn zu fragen. Und vor Eva Mauz fürchte ich mich allmählich auch. Die Frau balanciert am Rande eines Nervenzusammenbruchs – und ich habe sie bisher als herzloses Miststück eingeschätzt. Sie wird mit ihren Schuldgefühlen nicht fertig …«
Es war der falsche Satz, sie sieht es in Sibylles Gesicht. Verdüsterung, und jetzt beginnt sie zu weinen, und sie tauschen wieder die Rollen. Anna streichelt Sibylles Hand auf ihrer Schulter. »Blöde Lesben«, murmelt ein bleicher junger Mann, der seinen Tropf spazieren führt. Er schlurft weiter, und Anna fällt keine politisch korrekte Antwort ein. Dass die Hölle immer die anderen sind, weiß sie schon lange. Und auch, dass der Himmel, wenn es ihn denn gäbe, ein langweiliger Ort wäre.
»Sie können hier nicht einfach so sitzen. Dies ist ein Krankenhaus«, sagt die Schwester, die aus dem Nebenzimmer auftaucht.
Die Begründung erscheint Anna unlogisch, und die weiße Gestalt reizt zum Widerspruch. »Können wir doch«, sagt sie. Denkt, dass die Schwester aus einer Fernsehserie entsprungen ist, weil sie so blond und hübsch ist. Vielleicht drehen sie irgendwo, und dies ist gar kein richtiges Krankenhaus, sondern ein Studio für eine Endlosserie. Sie ist müde und traurig und möchte genau hier sitzen bleiben. Der Blonden ein Bein stellen, um einen ungraziösen Fall zu provozieren … die guten, alten, anarchistischen Anwandlungen, die stets zu nichts führen außer Ärger.
»Nein.«
»Doch.«
Die Schwester droht mit dem Oberarzt, und Anna ballt die Fäuste. Es ist genug, jetzt braucht sie eine Schuldige. Sie steht auf und baut sich drohend vor der Schwester auf, die erschrocken einen Schritt zurückweicht, doch keineswegs bereit ist, das Feld kampflos zu räumen. Das Duell der Blicke endet unentschieden, und die Frage, wer diesen Kampf gewonnen hätte, bleibt unbeantwortet, weil Jonathan in seinem Zimmer zu schreien beginnt. Sibylle springt auf, stößt die Tür auf. Schnitt, denkt Anna, und dass sie diesen Film nicht mag, weder Ort noch Handlung. Ihr Telefon
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