Anna Marx 9: Feuer bitte
klingelt in der Handtasche. »Handys sind auch verboten«, sagt die Schwester triumphierend, während Sibylle ans Bett eilt, um ihr Kind zu trösten.
»Schon bekannt«, sagt Anna und drückt auf die Aus-Taste. Es war Lieblings Nummer. Sie wird ihn zurückrufen, sobald sie zu Hause ist, ein Bad genommen und etwas gegessen hat. Der Wahrheit ins Auge zu sehen geht am Telefon vielleicht sogar besser. Man kann auflegen, wenn es zu schlimm wird. Sie sieht der Schwester nach, die ihre schmalen Hüften schwenkt. Sie hasst Krankenhäuser, Serien, die in Krankenhäusern spielen, und Detektivinnen, die darin vorkommen.
»Ich fahre schon mal zurück und organisiere die Babysitter«, sagt sie zu Sibylle, die das Wunder fertig brachte, ihr Kind zum Schweigen zu bringen. Es hängt an ihrer Brust und sieht zufrieden aus. Anna schaut weg, sie fühlt sich ausgeschlossen.
»Könntest du dich vorher um die Entlassungspapiere kümmern, ich kann hier nicht weg.«
»Aber sicher«, erwidert Anna. Sie ist der Fels in der Brandung. So sehen es die anderen. So steht sie da und weiß doch, dass eine einzige Welle ausreichen könnte, sie wegzuspülen.
13. Kapitel
Sein Schweigen ist unüberhörbar. Nur der Wasserhahn tropft. Anna denkt an Folter und dass er schon viel zu lange auf das Foto schaut. Liebling trägt einen seiner dunkelblauen Anzüge und die grüne Krawatte mit den blauen Monden, die sie ihm geschenkt hat. Es ist schwer, schöne Krawatten zu finden, und Männer, die nicht lügen und betrügen.
Liebling murmelt: »Du solltest mal den Klempner holen.«
»Eine gute Idee«, erwidert Anna laut. »Aber würdest du mir vorher sagen, was es mit dem Foto auf sich hat?«
Er widersteht dem Impuls, es zu zerreißen, und legt es auf den Tisch. Anna sieht aus wie die Verkörperung der Inquisition. Ihren Wahrheitsdrang fand er schon immer exotisch. Glaubt sie, dass sie dafür geliebt wird? Vielleicht von ihm, ein wenig. Doch Liebe versetzt keine Berge, sie schärft nur die Wahrnehmung für Höhen und Tiefen. Als Spieler seines Lebens wird Liebling dennoch die Karte ziehen, die sie braucht. Er hätte sich nie mit einer Detektivin einlassen dürfen.
»Ich warte«, sagt Anna mit dieser rauen, verletzten Stimme.
Sie war im Morgenmantel, als er an der Tür stand. Natürlich mit roten Rosen, das gehört zu seinem Repertoire. Er hielt den Strauß vors Gesicht, als sie öffnete. Senkte ihn langsam und lächelte sie an. Er erwischt mich ungeschminkt und als kariertes Monster, war ihr erster, grimmiger Gedanke. Und dass es nun zu spät war, die Tür wieder zuzuschlagen, sie hatte zu lange gewartet. Also sagte sie »Guten Morgen« und ließ ihn herein. Nahm seine Blumen und hielt ihm ihre Wange hin. Die Berührung seiner Lippen war kalt, und er roch nach Egoïste. Der Mann in ihrem Rücken ging auf leisen Ledersohlen und sagte nichts, was falsch sein könnte. Anna brachte ihm eine Tasse Kaffee und ließ ihn im Wohnzimmer-Büro sitzen, während sie sich anzog. Nicht achtlos, doch sie verzichtete auf Schminke, es hätte ohnehin zu lange gedauert, sich in ein präsentables Wesen zu verwandeln.
»Meinetwegen hättest du dich nicht anziehen müssen«, meinte Liebling, als sie wiederkam. Er lag auf ihrer Couch und las den »Spiegel«, der Mann, der sich in ihrer Wohnung benimmt, als sei er hier zu Hause. Sie hatte es natürlich nicht fertig gebracht, ihn anzurufen, und nun war er hier. »Gelungene Überraschung«, sagte Anna, holte das Foto aus ihrer Schreibtischschublade und legte es ihm auf den Schoß. Dann lehnte sie sich mit verschränkten Armen gegen den Gummibaum, der sacht nachgab.
Julia Mauz und Martin Liebling auf den Schiff: Er nahm das Bild in die Hand, und sein Gesicht verriet nichts. Es war still in der Wohnung. Anna hörte das Tropfen des Wasserhahns und Fjodors Schritte im Hausflur. Er musste es sein, denn nur er hatte diese merkwürdige Art, die Treppen hinunterzuhüpfen. Wie ein fettes Känguru. Lieblings Pokerface blieb unverändert, während er viel zu lange stumm blieb.
Anna setzt sich hinter ihren Schreibtisch. Distanz ist vonnöten, sie braucht sie dringend. Die Krücke, die Zigarette brennt, als er endlich spricht. »Wäre es zu viel verlangt, dich zu fragen, woher dieses Foto stammt?«
»Aus dem Nachlass von Julia Mauz. Sie ist die Frau neben dir.«
Liebling lächelt, ein bisschen teuflisch, wie Anna meint. »Ich kenne die Dame nicht, und der Mann auf dem Foto ist David. Mein Bruder. Er müsste es sein.«
Anna schluckt Rauch
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