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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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über die geballte Faust auf ihrem Schreibtisch. »Kann ich darüber nachdenken?«
    »Ja, aber nicht zu lange. Der Flieger geht morgen Abend. Trägheit ist glücksfeindlich. Ich hatte auf ein spontanes Ja gehofft. Willst du nicht wissen, welche Insel?«
    Nicht wirklich, denkt Anna. Oder doch? Wenn Krieg und Liebe vergleichbar wären, würde sie das jetzt als Blitzkrieg bezeichnen. Anna Marx, auf dem Rückzug befindlich, sammelt ihre Kräfte für etwas, das ihr immer schon schwer fiel: Entscheidungen. Lebt sie in der glücksfeindlichen Stimmung der Bewahrung bestehender Verhältnisse? Warum sinkt sie jetzt nicht in seine Arme? Ein Happyend, das wäre es doch. Aber es ist eben nicht das Ende, nur der Anfang von etwas Neuem. Und das macht ihr Angst. Sie ist vollkommen unentschieden, emotional wie geographisch. Wie kann man jemals sicher sein, das Richtige zu tun? Anna horcht auf das, was Kitschromane als Stimme des Herzens bezeichnen. Sie hört nichts, nur das Echo ihrer Zweifel.
    »Sie heißt Treasure Island«, sagt Liebling in ihr Schweigen. »Und sie ist wunderschön. So wie du manchmal, wenn du glaubst, der Welt kein Gesicht bieten zu müssen.«
    Sie küsst ihn für diesen Satz. Auf die Wange, und denkt, dass er sich nachlässig rasiert hat. Liebling will diesen Auftakt in eine Ouvertüre verwandeln, doch Anna entwindet sich seiner Umarmung. »Ich habe Hunger. Was hältst du von einem späten Frühstück?«
    Nichts, denkt Liebling, doch er greift gehorsam nach seinem Jackett. Wenn er sie erst auf der Insel hat, werden die Regeln geändert. Doch bis dahin wird er Kreide schlucken, Kaffee trinken und Brötchen essen. Er wird sie überzeugen müssen, diese ewig zweifelnde Schlampe. Es gibt Orte, die sind nicht fürs Alleinsein geschaffen, und vor Robinson Crusoe hat ihm immer gegraut. »Und wohin?«
    »Fast gegenüber, in meine Stammkneipe. Mein Speisezimmer, und ja, ich hänge an den paar Wurzeln, die ich geschlagen habe. Viele sind es nicht.«
    Das ist gut, doch sie weicht ihm aus. Öffnet die Wohnungstür und drängt ihn beinahe in den düsteren Hausflur, in dem es nach orientalischem Bazar riecht. Die Duftmischung erinnert ihn an seine Studentenzeit, er hat lange nicht mehr daran gedacht. Der denkwürdige Tag, an dem er den aus revolutionärer Sicht reaktionären Professor mit Ketchup bespritzte. Eine harmlose Aktion, wenn er sie mit jenen vergleicht, die nachfolgten. Anna hastet geradezu über die Treppen, als ob sie Angst hätte, mit ihm allein zu sein. Was denkt sie: dass er sie vergewaltigen würde? Sie ist irrational, das findet er überwiegend anziehend, doch manchmal ist sie einfach nur ein altes Mädchen, das sich weigert, erwachsen zu werden.
    »Und du erzählst mir beim Frühstück von David«, sagt Anna, während sie sich bei ihm einhakt. Glaubt sie ihm? In der Stimmung, in der er sie an diesem Morgen antraf, ist sie schwer einzuschätzen. Sie missachtet die rote Fußgängerampel und zieht ihn beinahe ins Verderben. Der Autofahrer, der sie knapp verfehlte, hupt, und Anna schimpft ihm hinterher. Ihr Anarchismus verliert sich im Banalen, denkt Liebling, und dass er immer noch nicht weiß, was genau er so anziehend an ihr findet.
    Annas zweites Heim heißt »Mondscheintarif«, sie stehen davor. Anna zögert. »Vielleicht sollten wir doch woanders hingehen.«
    »Warum?«
    »Weil … mich alle kennen, und dich nicht. Sie werden dich röntgen …«
    »… und ich werde es aushalten.« Liebling öffnet die Tür und ist angenehm überrascht. Sie ist hübsch, Annas Kneipe, nicht elegant, doch weit entfernt von den Trinkerunheilanstalten, die er auch in Brüssel meidet. Sie sind allein, bis auf den Mann hinter der Theke. Anna stellt ihn als »Freddy« vor, und Liebling findet seinen Händedruck erstaunlich schmerzhaft für einen so weich gezeichneten Mann. Sie bestellen Kaffee und Croissants, und Freddy erzählt ungefragt, dass Sibylle beim Friseur sei und Jonathan von seinem Liebsten beaufsichtigt werde. Er scheint es seinen einzigen Gästen übel zu nehmen, dass sie sich an den Tisch setzen, der am weitesten von der Theke entfernt ist.
    Liebling kennt Sibylle aus Annas Geschichten, die sie sehr sparsam dosiert. Anna ist eine gute Zuhörerin und vor allem eine Frau, mit der man behaglich schweigen kann. Wenn sie nicht gerade bohrende Fragen stellt. Mit vollem Mund.
    »Wieso hasst du David?«
    »Ich hasse ihn nicht, ich verabscheue ihn, das ist schlimmer.«
    »Weich mir nicht aus, ich will die Gründe

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