Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
halben Jahr bei mir ein-geschlichen hatte. Avery hat mich glauben lassen, er liebe mich und wolle mir helfen, mich an das Dasein als Vampir zu gewöhnen. In Wahrheit wollte er Kontrolle über mich. Er hat mein Haus zerstört, David entführt, und er hätte ihn getötet, wenn ich meinen Partner nicht rechtzeitig gefunden hätte.
Ich zweifle nicht daran, dass er sich als Nächstes meine Familie vorgenommen hätte. Ich habe Avery einen Pflock ins Herz gerammt, nicht nur, um mich selbst zu schützen, sondern auch die Menschen, die ich liebe. Ich habe es nie bereut.
Williams weiß das.
Ich stehe auf, drehe mich um und schaue auf ihn hinab. »Aha. Avery hatte also eine Ehefrau. Schön. Dann bin ich endlich ganz frei von ihm. Richte ihr unbedingt meinen Dank aus.«
Seine Augen weiten sich leicht, dann umspielt ein knappes Lächeln seine Mundwinkel. »Nicht so schnell. Nach dem Gesetz der Vampire gehört Averys gesamter Besitz jetzt dir. Das weiß sie auch.«
»Vampir-Gesetze interessieren mich nicht. Warum müssen wir diese Unterhaltung immer wieder führen? Sie kann jedes verdammte bisschen haben, das Avery hinterlassen hat. Ich will nichts davon. Sag ihr das. Oder lass Culebra es ihr ausrichten. Wenn ich irgendetwas unterschreiben muss, soll sie es herschicken. Ich unterschreibe jedes Dokument, das sie braucht. Ich will es endlich hinter mir haben. Ich will meine Ruhe.«
Mir ist nicht klar, wie laut ich spreche, bis ich Williams’ warnenden Blick auffange und mich umschaue. In der Bar ist es verdächtig still geworden, und alle Augen sind auf mich gerichtet.
Herrgott. Zum zweiten Mal an diesem Abend stehe ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Genau das, was ein Vampir sich wünscht. Allerdings sind die vielen Augen und Ohren diesmal menschlich. Haben sie auch das mit den Vampir-Gesetzen mitbekommen, oder war der Anfang meiner Tirade noch so leise, dass sie ihn verpasst haben?
Williams packt mich am Arm und zerrt mich zurück auf die Bank. Ich erlaube es ihm und versuche, die Spannung mit einem schüchternen Lächeln und einem schwachen Winken in den Raum hinein zu zerstreuen. »Tut mir leid, Leute. Wollte nicht stören. Mein Vater und ich .... ein kleines Missverständnis .... «
Williams’ finstere Gedanken schlagen förmlich nach mir. Vater?
Wäre es dir lieber, wenn ich dich als meinen Liebhaber bezeichnet hätte? Was, wenn einer dieser Anwälte an der Bar dich erkennt?
Aber ich habe gar keine Tochter.
Du hast auch keine Geliebte. Jedenfalls nicht hier und jetzt.
Mein Blick schweift durch den Raum. Die Leute wenden sich wieder ihren Freunden und Partnern zu, Gespräche werden fortgesetzt. Kein Blick bleibt mehr an uns hängen. Katastrophe abgewendet . Entspann dich.
Ich soll mich entspannen? Er hat beinahe schon Schaum vorm Maul. Herrgott, Anna. Du bist unmöglich. Was hast du dir nur dabei gedacht?
Darauf sage ich nichts. An meiner Antwort hätte sich nur eine weitere Tirade entzündet. Williams und ich werden uns nie einig sein, was anständiges Vampir-Verhalten angeht. Vor allem deshalb, weil ich kein anständiger Vampir sein will. Ich knalle die Tür zu meinen Gedanken zu und stehe wieder auf.
»Bis dann, Williams. Wenn du mir bei Sandra nicht helfen willst, komme ich auch irgendwie allein klar. Jedenfalls habe ich es dann endlich hinter mir. Ich erwarte nicht, je wieder von dir zu hören. Danke, dass du mich einmal mehr an alles erinnert hast, was ich nicht will.«
Williams’ Miene wird weich und nimmt den Ausdruck an, den ich am wenigsten erwartet hätte. Sein Ärger weicht der Traurigkeit. Er schüttelt den Kopf. »Du wirst nie bekommen, was du dir wünschst. Ganz egal, wie sehr du dich bemühst. Ich weiß, du glaubst mir nicht.« Er wendet den Blick ab und sieht mich dann wieder an. »Es ist nicht real, verstehst du? Zumindest nicht deine Realität.«
Im nächsten Moment spielt er mir aus seinem Geist die Einkaufstour mit Trish vor, von diesem Nachmittag. Wie in einem projizierten Film sehe ich mein Gesicht, strahlend, erwartungsvoll, wenn ich sie anschaue. Es gibt nur eine Möglichkeit, wie dieses Bild zustande gekommen sein kann. Ich ersticke beinahe vor Wut und stoße durch zusammengebissene Zähne hervor: »Du beschattest mich?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich nicht.«
»Wer dann?«
»Das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur die Rolle, die zu spielen dir bestimmt ist, Anna. Bis du akzeptierst, voll und ganz akzeptierst, was du bist, wirst du überwacht. Da gibt es keinerlei
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