Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
befriedigen kannst. Eine feste Beziehung. Daran ist nichts Verwerfliches. Es ist das einzig Vernünftige.
Bla, bla, bla. Das habe ich alles schon mal gehört.
Als ich mich diesmal in Bewegung setze, den staubigen hölzernen Bürgersteig entlang zu meinem Auto, versucht niemand mehr, mich aufzuhalten.
Kapitel 8
Das ganze Debakel bei Culebra hat bloß eine Stunde gedauert, sich aber viel länger angefühlt.
Die Heimfahrt im Touristenstrom, der sich langsam in Richtung San Diego wälzt, gibt mir genug Zeit, etwas Ordnung in meine widerstreitenden Gefühle zu bringen.
Das erste Gefühl ist Schock und Wut auf Max. Aus offensichtlichen Gründen. Aber da ist auch leises Bedauern über meine eigene Reaktion. Obwohl ich weiß, dass es mit Max und mir nie funktioniert hätte, hat es weh getan, ihn heute Abend zu sehen. Dann ist da Sandra. Nicht zu fassen, dass sie eine so machtvolle erotische Wirkung auf mich hatte.
Vielleicht war das auch eine Reaktion auf das Wiedersehen mit Max? Auf das Wissen, dass er gerade mit einer anderen geschlafen hatte?
Verwirrung. Warum zum Teufel sollte eine ihrer wölfischen Freundinnen Streit mit mir suchen?
Soweit ich weiß, hatte ich noch nie mit irgendeinem Werwesen zu tun, also kann ich auch keines beleidigt oder verletzt haben. Jedenfalls nicht absichtlich. Meine Erfahrungen mit der übernatürlichen Gemeinschaft waren sehr gemischt, aber ich habe nur getötet, wenn es notwendig war, um mich selbst oder die menschliche Gesellschaft zu schützen. Ich bin sicher, dass ich nie ein Werwesen getötet habe.
Als ich die Stadt erreiche, ist es schon nach neun, und vom vielen Grübeln dreht sich mir der Kopf.
Ich brauche einen Drink, also fahre ich zum Glory’s, obwohl es für das Treffen mit Rory noch zu früh ist.
Es ist noch voller als vorher. Alle Tische und die Sitznischen an der hinteren Wand sind besetzt. Ich arbeite mich durch die Menge zur Bar vor und erkundige mich beim Barkeeper, ob Gloria oder ihr Partner zufällig hinten im Büro sind. Er sagt nein.
Ihm zufolge ist Gloria vor einer ganzen Weile gegangen, und Mr. O’Sullivan wird erst in etwa zwei Stunden erwartet. Ich bestelle einen Wodka-Martini, extra trocken, und bloß keine Olive.
Ein Kerl im Armani-Anzug, Mitte dreißig und mit einem schmierigen Lächeln im Gesicht, rutscht von einem Barhocker und bedeutet mir, Platz zu nehmen. Das tue ich auch. Er sieht auf diese ölige Art gut aus, die für Anwälte typisch ist, mit seiner Designer-Hornbrille und den zarten Händen. Strafverteidiger wahrscheinlich. Der Anzug ist zu teuer und die Hände sind zu weich für einen Staatsanwalt. Er trinkt etwas aus einem hohen Glas mit quietschbuntem Cocktailstäbchen. Ganz sicher ein Strafverteidiger. Die Staatsanwälte, die ich kenne, würden sich nie im Leben mit einem Papierschirmchen-Drink sehen lassen.
Ich auch nicht. Da müsste ich schon unter mehr als nur rasender Libido leiden, um bei so einem Cocktail in Versuchung zu geraten oder bei Typen, die so etwas bestellen. Nie im Leben. Ich lächle über meinen eigenen Witz. Als mein Drink kommt, lässt der Cocktailschirmchen-Kerl lässig einen Zwanziger auf die Bar fallen und rückt näher. Offenbar hat er das Lächeln als Einladung missverstanden.
Ich denke, ein ordentliches Knurren dürfte ihn ausreichend entmutigen.
Vorsicht, Anna. Verrate dich nicht.
Na wunderbar. Die vertraute Stimme, die da in meinen Kopf eindringt, ist alles andere als willkommen. Ich schaue an dem Cocktailschirmchen-Kerl vorbei. Williams sitzt an einem Tisch ganz hinten. Auch er lächelt, aber nur mit den Lippen. Sein Blick ist verhüllt und ernst.
Williams. Was machst du hier?
Freut mich auch. Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen? Zwei Monate? Du schreibst mir nicht mehr. Du rufst nicht an.
Sehr witzig. Ich ignoriere das Protestgejaule des Cocktailschirmchen-Kerls, dem ich seinen Drink wieder in die Hand drücke, und drängle mich zu Williams durch. Wenn du dich erinnern möchtest, hast du mich selbst darum gebeten, keinen Kontakt zu dir aufzunehmen. Nach allem, was ich in der Zeitung gelesen habe, bist du noch nicht ganz aus der Geschichte raus.
Williams rückt beiseite, damit ich mich neben ihn auf die Bank setzen kann. Er weiß, dass ich dieselbe Blickrichtung haben will wie er – gute Polizisten, oder Vampire, sitzen immer mit dem Rücken zur Wand und Blick auf die Menge. Er trägt Zivilkleidung, eine Hose und ein Polohemd mit offenem Kragen. Er sieht gut aus, oder eher gut alternd,
Weitere Kostenlose Bücher