Anna Strong Chronicles 04 - Der Kuss der Vampirin
los. Es hat keinen Sinn, hier herumzuhängen. Fahren wir zu dir nach Hause. Wir trinken etwas und warten darauf, dass sie anruft. Sobald sie sich beruhigt hat, wird sie sich melden, das weißt du doch.«
David nickt niedergeschlagen. Wir gehen auf die Bar und den Ausgang zu, als wir den Aufruhr hören. Der Lärm kommt von draußen, vom Parkplatz, und er ist so laut, dass man sich leicht ausmalen kann, was da gerade passiert.
Die Presse hat Wind davon bekommen, dass der Milliardär Rory O’Sullivan tot in seiner Villa aufgefunden wurde und dass seine Partnerin Gloria sich hier im Restaurant aufhält. Fragen werden durcheinandergebrüllt. Erst glaube ich, die müssen Gloria vor dem Restaurant aufgelauert haben, bis eine vertraute Stimme Ruhe verlangt. Detective Harris’ Stimme.
David stürmt los und stößt mich beinahe um in seiner Hast, nachzusehen, was da los ist.
Harris steht vor der Hintertür, die Hand an Glorias Arm. Die Scheinwerfer ganzer Kamerateams leuchten den Parkplatz taghell aus und zeichnen harte Schatten in sein Gesicht. Er muss hier auf sie gewartet haben. Wahrscheinlich hat er gehofft, dass sie allein herauskommen würde und er sie überreden könnte, ihn freiwillig aufs Revier zu begleiten. Zwei Streifenwagen blockieren Ein- und Ausfahrt des Parkplatzes.
David will sich ins Gedränge stürzen. Ich packe ihn am Arm. »Willst du alles noch schlimmer machen? Du weißt doch, dass Harris dich nicht leiden kann. Bleib hier.«
Überraschenderweise befolgt er meinen Rat, aber er tritt von einem Fuß auf den anderen wie ein Rennpferd in der Startbox. Gloria bräuchte nur mit dem kleinen Finger zu winken, und er würde alles niedermähen, was ihm im Weg steht, um zu ihr zu gelangen.
Harris beantwortet die Fragen der Presse zum Großteil mit Polizei-Floskeln, die andeuten, dass Gloria ihn nur ins Polizeipräsidium begleiten wird, um Fragen zu beantworten. O’Sullivan war ihr Geschäftspartner. Sie steht nicht im Verdacht, an der Tat in irgendeiner Weise beteiligt gewesen zu sein. Reine Routine. Die Presse wird über neue Entwicklungen in dem Fall informiert werden. Jetzt wünsche ich Ihnen eine gute Nacht.
Gloria steht neben ihm, stumm, bedrückt. Als sie David und mich am hintersten Rand der Menge stehen sieht, wendet sie rasch den Blick ab. Ich spüre, wie David sich neben mir anspannt.
Harris drängt Gloria zu einem der wartenden Streifenwagen. Sie widersetzt sich nicht. Kamerablitze zucken durch die mitternächtliche Dunkelheit, als gingen hundert Sonnen gleichzeitig auf. David steht neben mir, und seine Wut fühlt sich ungefähr genauso heiß an.
»Dieser Mistkerl«, sagt er. »Der hat auf sie gewartet.« Ich wünschte, ich könnte Davids Sorge zerstreuen.
Aber um ehrlich zu sein, hat Harris genau das getan, was ich auch getan hätte. Genau das, was David und ich bei der Verfolgung eines Kautionsflüchtigen tun würden. Er hat gewartet, bis er Gloria allein erwischen konnte, ohne David, ihren menschlichen Pitbull. Ich schaue dem Streifenwagen nach, der davonfährt, gefolgt von einem Dutzend Übertragungswagen. Hoffentlich ist Gloria jetzt klug genug, einen Anwalt herzuschaffen, ehe sie Harris’ Fragen beantwortet. Ich habe ihn in Aktion erlebt. Das ist mal ein schlauer Detective.
Ich habe David noch nie so besorgt gesehen. Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen könnte. Ein Teil von mir will das auch gar nicht. Gestern dachte ich noch, mit ihm und Gloria sei Schluss, und es war bitter für mich, zu erfahren, dass er sie angerufen und sie angefleht hat, sich mit ihm in Verbindung zu setzen – ohne dass ich davon wusste.
Soll ich ihm erzählen, warum sie mich heute angesprochen hat? Dass sie mich zu Rory schicken wollte, weil er sie erpresst hat, damit sie mit ihm ins Bett geht? Dann müsste ich David auch sagen, dass Gloria schon mit Rory geschlafen hat.
Wie schlimm könnte das schon sein? Davids Gesichtsausdruck ist Antwort genug.
Auch er schaut dem davonfahrenden Streifenwagen nach, so niedergeschlagen, dass ich den dumpfen Schmerz beinahe in meinem eigenen Herzen spüren kann. So verlockend es auch ist, ich bin nicht grausam genug, sein Elend noch zu verschlimmern. Jedenfalls nicht heute Nacht.
»Geh nach Hause, David. Wir können nichts mehr tun. Gloria wird vor deiner Tür stehen, sobald sie entlassen wird. Das weißt du doch. Wohin sollte sie sonst gehen?«
Das weckt ihn endlich aus seiner Starre. Mein letzter Blick auf meinen Partner David zeigt ihn auf dem Fahrersitz seines
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